© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 48/19 / 22. November 2019

Wer zuletzt lacht
Abkommen mit Libyen: Italiens neue Regierung versucht, das Land für Migration zu öffnen, ohne rechte Wähler zu erzürnen
Marco F. Gallina

Die neue italienische Innenministerin Luciana Lamorgese inszeniert sich als „Anti-Salvini“. „Wir stehen keiner Invasion gegenüber“, sagt sie der versammelten Presse. Hatte ihr Vorgänger das Schlagwort schon seit 2014 geprägt, so verweist Lamorgese darauf, daß sie darüber „keine Informationen“ hätte.

„Invasione“ bezeichnet im Italienischen nicht nur einen Einmarsch. Der Begriff rüttelt im Tiefenbewußtsein römischer Prägung. Während der Untergang des alten Imperiums im deutschen Sprachgebrauch durch den Titel einer „Völkerwanderung“ verniedlicht wird, nennen die Italiener dasselbe Phänomen „Invasione barbariche“ – Invasion der Barbaren.

Der Lega-Chef und Ex-Innenminister sieht das freilich anders. In der Sendung „Porta a Porta“ im öffentlich-rechtlichen RaiUno demonstriert Salvini die Veränderung seit dem Regierungswechsel auf einem Plakat. Unter der Regierung aus Lega und Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) seien 23 Anlandungen pro Tag durch illegale Einwanderer erfolgt.

In der neuen Regierung, in welcher der sozialdemokratische Partito Democratico (PD) die Lega ersetzt hat, während der Movimento Bestandteil bleibt, seien es dagegen 73. „Das einzige konkrete Ergebnis nach einem Monat dieser Regierung ist, daß sich die Ankünfte verdreifacht haben“, folgert der Anführer der größten Oppositionspartei.

Tatsächlich war der September 2019 mit knapp 2.500 Migranten ein Rückfall in präsalvinische Zeiten: 2018 hatte das Innenministerium im selben Monat nur 947 Ankünfte verbucht. Die Statistik vom Oktober zeigt ein ähnliches Bild mit 2.017 Anlandungen – im Gegensatz zu den 1.007 im Vorjahr.

Daß Salvinis Devise der „geschlossenen Häfen“ aufgekündigt wurde, zeigt also bereits wenige Monate später deutliche Auswirkungen. Die Verantwortlichen in Rom wissen, daß an der Migrationsfrage die Wahlergebnisse hängen. Der Spagat zwischen linkem Moralismus und Realpolitik begann bereits in der Amtszeit von Paolo Gentiloni, als über 100.000 Migranten im Jahr 2017 das Meer überquerten. Innenminister Marco Minniti schaffte die Wende, indem er mit den libyschen Behörden einen Deal aushandelte und deren Küstenwache im Kampf gegen Schlepper gewann. Ein Abkommen, das in linksextremen Kreisen – jenseits wie diesseits der Alpen – stark kritisiert wird.

NGOs fordern Ende der Zusammenarbeit mit Libyen

Eben dieses Abkommen will Italien jetzt verlängern. Außenminister Luigi Di Maio nannte es „unklug“, den Vertrag angesichts des Menschenhandels im Mittelmeer aufzulösen. Das Abkommen habe die Zahl der Ertrunkenen deutlich gesenkt, gestand er zu. Das könne man „nicht leugnen“. Ist das Salvinis Geist im anderen Schlauch? Die Maximalforderungen der NGOs erfüllen solche Ankündigungen bei weitem nicht. Marco Bertolotto von Ärzte ohne Grenzen forderte das Ende der „willkürlichen Haftbestimmungen“ in Libyen und ein Ende der Unterstützung der libyschen Behörden. „Das ist die einzige mögliche Lösung“, sagte Bertolotto weiter.

36.000 Migranten wurden von der libyschen Küstenbehörde seit Inkrafttreten des Abkommens aufgehalten. Di Maio äußerte die Befürchtung, daß ein Entzug der Unterstützung dazu führte, daß die Küstenwache nicht mehr eingreife und sich die Situation dramatisch verschlechtere. Ein offener Brief von 21 internationalen Organisationen – neben Ärzte ohne Grenzen auch Oxfam, Amnesty International und Save the Children – forderte dagegen, daß der Deal sofort aufgelöst werden müsse. Obwohl PD und M5S in der Migrationsfrage gespalten sind, hat keine der beiden Parteien ein Ende des Vertrages in Betracht gezogen. Angesichts drohender Wahlniederlagen im kommenden Jahr und der Wiedererstarkung Salvinis will man den Volkszorn nicht unnötig wecken.