© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 48/19 / 22. November 2019

Eine Stadt kämpft ums Überleben
Venedig: Flutwellen und Hochwasser bedrohen wieder das Weltkulturerbe an der Adria
Thorsten Thaler

Es sind fürwahr erschreckende Bilder aus Venedig: der Markusplatz unter Wasser, ebenso die Krypta des Markusdoms, der Dogenpalast, Kindertagesstätten und Schulen zeitweise geschlossen, Anlegestellen für die Touristen-Gondeln weggerissen, beschädigte Schiffe und Wasserbusse, auch in das Opernhaus „La Fenice“ drang das Hochwasser. Obgleich jährlich wiederkehrend – 1966 wurde ein Rekordwasserstand gemessen –, machte Venedigs Bürgermeister Luigi Brugnaro für die Katastrophe den Klimawandel verantwortlich. Die italienische Regierung verhängte den Notstand.

Versinkt die auf über hundert Inseln einer Adria-Lagune erbaute Perle des italienischen Tourismus mitsamt ihren wertvollen Kulturschätzen im Meer wie einst Atlantis infolge einer Naturkatastrophe? Oder wie Rungholt, jene Siedlung an der nordfriesischen Küste, die nach mehreren Sturmfluten 1362 untergegangen ist?  In der Ballade „Trutz, blanke Hans“ dichtete Detlev von Liliencron: „Ein einziger Schrei – die Stadt ist versunken,/ und Hunderttausende sind ertrunken./ Wo gestern noch Lärm und lustiger Tisch,/ schwamm andern Tags der stumme Fisch./ Heut bin ich über Rungholt gefahren,/ die Stadt ging unter vor sechshundert Jahren.“

Wissenschaftler prophezeien Untergang

Droht ein vergleichbares Schicksal dereinst auch Venedig? Wissenschaftler zeigen sich pessimistisch. Die Stadt gehört zu jenen Unesco-Kulturerbestätten am Mittelmeer, die laut einer jüngeren Studie durch einen vom Klimawandel beförderten Anstieg des Meeresspiegels bedroht sind. Darüber berichteten im Oktober vergangenen Jahres Forscher um Lena Reimann von der Universität Kiel im Fachmagazin Nature Communications. Danach seien von 49 untersuchten Welterbestätten 37 von Sturmfluten beziehungsweise Überschwemmungen sowie 42 von Küstenerosion bis zum Ende dieses Jahrhunderts bedroht. „Venedig werden wir verlieren, das ist nicht umstritten“, sagte vor einem Jahr auch der Physiker Anders Levermann vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Die Entwicklung verlaufe langsam, sei aber unaufhaltsam. 

Die ökologische Bedrohung der Lagune – im weiteren Horizont der Tod Venedigs – ist in der Publizistik freilich vielfach lange vor der gegenwärtigen Klimahysterie thematisiert worden. In seinem 2007 veröffentlichten Buch „Inselstadt Venedig – Umweltgeschichte eines Mythos in der Frühen Neuzeit“ spricht Christian Mathieu, damals wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität des Saarlandes, von einem „ökologischen Risikodiskurs“, der bereits in jener Zeit –zwischen dem Ende des Spätmittelalters bis zum Übergang ins 19. Jahrhundert – geführt worden sei und Eingang in die Literatur gefunden habe.

Der britische Schriftsteller, Kunsthistoriker und Sozialphilosoph John Ruskin wies in „The Stones of Venice“ (1851) auf die Gefährdungen hin, denen Venedig durch „jede der rasch herandringenden Wellen“ ausgesetzt sei. 

Freiherr August Daniel von Binzer, Dichter und Urburschenschafter, schreibt in seinem Buch „Venedig im Jahre 1844“, gewiß werde „dereinst eine Zeit kommen, wo das steigende Mißverhältnis zwischen Wasser und Land für letzteres bedrohlich werden muß, um so mehr, da es keinem Zweifel unterworfen ist, daß der mittlere Wasserstand des Meeres im Golf von Venedig gleichfalls steigt“. Und in einer Fußnote dazu teilt Binzer mit: „Im Jahre 1732 mußte der Marcusplatz um 1 Fuß erhöht werden, weil schon die gewöhnliche Fluth denselben überschwemmte.“ 

In seiner 1903 erschienenen Reisebeschreibung „La mort de Venise“ widmete sich der französische Romancier und Politiker der nationalen Rechten Maurice Barrès der Bedrohung der Stadt. Im Kern ging es ihm zwar um dekadente Verfallserscheinungen, aber am Rande eben auch um ökologische Aspekte. Bei aller Wehmut über vergangene Epochen, über den Verlust alter Größe und Pracht, übte der Tod von Venedig auf Barrès auch „die magische Anziehungskraft einer sterbenden Schönheit“ (Wiebke Bendrath) aus.