© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 48/19 / 22. November 2019

Den Haß fixiert, wer die Macht besitzt
Bürgerkriegsrhetorik: Das widerständige Meinungslager soll sprachlos gemacht werden
Thorsten Hinz

Wenige Themen beschäftigen  die staatlichen Organe und die Parteien, die sie in Besitz genommen haben, so intensiv wie der Kampf gegen den Haß. Das bedeutet keineswegs, daß sie einen Blumenteppich der Liebe über das Land legen wollen. Im Gegenteil, es geht um Meinungsmacht und um die Macht überhaupt.

Haß ist ein starker, sehr menschlicher Affekt. Damit das Zusammenleben friedlich bleibt, muß man seine Abneigungen und negativen Empfindungen in den Griff bekommen. Dem Individuum gelingt das durch eine gute Kinderstube und Selbstdisziplin, dem Kollektiv durch den „Prozeß der Zivilisation“ (Norbert Elias).

Keine Frage, daß die Digitalisierung Teile der Gesellschaft in vorzivilisatorische Verhaltensweisen zurückwirft. Geschützt durch Anonymität, durch die Filterblase in der Wahrnehmung beschränkt und angefeuert durch Beifall aus der Echokammer, lassen manche ihren inneren Schweinehund in den sozialen Netzwerken freien Lauf. Goldene Regeln dagegen sind noch nicht gefunden. Der Prozeß der digitalen Zivilisation braucht seine Zeit.

Gemeint ist in der Tat nur ein bestimmter Haß. So waren nach Angaben des Bundeskriminalamtes in den Jahren 2017 und 2018 rund drei Viertel der strafbaren Haßkommentare dem rechtsextremen Spektrum zuzuordnen. Kann man daraus folgern, daß es sich bei den Linken um die liebevolleren Menschen handelt? Alle Erfahrungen sprechen dagegen. Den Haß fixiert, wer die Macht besitzt!

Der britische Historiker Timothy Garton Ash hat im Buch „Free Speech“ die Versuche überprüft, Haßrede per Gesetz einzudämmen, und konstatiert, daß die Anwendung solcher Gesetze „unberechenbar und oft unverhältnismäßig war. … Genau jenes Gleichheitsprinzip – insbesondere der Anspruch auf gleiche Behandlung durch den Staat –, mit dem solche Gesetze gerechtfertigt werden, wird durch ihre willkürliche Anwendung untergraben.“

Aus dem öffentlichen Wortschatz verschwunden

Es geht also darum, ein widerständiges Meinungslager wehrlos zu machen, indem man es sprachlos macht. Das geschieht unter anderem durch die gezielte Kontaminierung von Vokabeln mit inkriminierenden Begriffen wie „menschenverachtend“, „rassistisch“, „fremdenfeindlich“ oder eben „Haßrede“. Im Zuge und Nachgang der Grenzöffnung 2015 sind zweiffellos unschöne Formulierungen gefallen, doch meistens handelte es sich um emotionale Ausbrüche im Gefühl eigener Ohnmacht und der politisch-medialen Übermacht der Gegenseite.

Durch die Beschränkung des Wortschatzes soll erschwert werden, Sachverhalte adäquat auszudrücken. Der Begriff „Ausländer“ oder „illegaler Ausländer“ – für jene, die sich gesetzeswidrig in Deutschland aufhalten – ist aus dem öffentlichen Wortschatz so gut wie verschwunden, obwohl die Unterscheidung zum „Inländer“ den grundlegenden rechtlichen Unterschied markiert. Gebräuchlich ist nun der „Migrant“, der einen gleichsam natürlichen Vorgang der Ortsveränderung insinuiert.  Er  transzendiert geltendes Recht und Gesetz und hebt sukzessive die Sonderung zwischen drinnen und draußen auf. In der Folge begibt sich jeder, der das Attribut „illegal“ verwendet, in eine Zone der Unsicherheit und der potentiellen „Haßrede“. Auf diese Weise weicht die politisch-mediale Klasse der politischen Auseinandersetzung einerseits aus und radikalisiert sie gleichzeitig, indem sie sie auf das Feld der Moral verlegt. Statt zwischen „richtig“ und „falsch“ wird nun zwischen „gut“ und „böse“ unterschieden. Als nächster Schritt wird das Böse kriminalisiert und schließlich verboten.

Über die Effizienz des Verfahrens sind Zweifel kaum mehr möglich. In Bertolt Brechts „Rede über die Widerstandskraft der Vernunft“ heißt es: „Tatsächlich kann das menschliche Denkvermögen in erstaunlicher Weise beschädigt werden. Dies gilt für die Vernunft der einzelnen wie der ganzer Klassen und Völker. Die Geschichte des menschlichen Denkvermögens weist große Perioden teilweiser oder völliger Unfruchtbarkeit, Beispiele erschreckender Rückbildungen und Verkümmerungen auf. Der Stumpfsinn kann, mit geeigneten Mitteln, in großem Umfang organisiert werden. Der Mensch vermag unter Umständen ebenso gut zu lernen, daß zwei mal zwei fünf, als daß es vier ist.“ Man muß nur lange und oft genug wiederholen, daß zwei mal zwei gleich vier die toxische Geheimformel eines hegemonialen, weißen, männlichen Machtdiskurses ist, der schließlich zu diversen Orten des Schreckens geführt hat, um sie schließlich unter allgemeinem Beifall verbieten zu können.

Die ehemalige Stasi-Informantin Anetta Kahane, die der mit Steuergeldern ausgestatteten Amadeu-Antonio-Stiftung vorsteht, hat in schöner Unbedarftheit preisgegeben, was die Triebkraft der Bewegung ist und wohin die Reise gehen soll. Für eine 2015 herausgegebenen Broschüre zum Umgang mit „Hate Speech“ (Haßrede), die – so der damalige Justizminister Heiko Maas im Geleitwort – helfen soll, „Haßredner und ihre Codes zu identifizieren“ und „Anregungen zum Widerspruch“ zu geben, verfaßte sie unter dem Titel „Kulturkampf der Gegenwart“ eine kurze Einführung, in der 27mal die Worte „Haß“ beziehungsweise „hassen“ vorkommen.

Ein Auszug: „Das ist eine weitere Spezialität des Menschen, die ihn von Tieren unterscheidet: Er haßt wirr um sich herum und weiß oft nicht, weshalb und wen er aus welchen Gründen damit treffen will. Dabei zieht er ganze Gruppen von Menschen in den Dreck, diffamiert, beschimpft und bedroht sie. Und weil Haß sich niemals verbraucht, nie aufhört oder von allein verschwindet, macht er immer so weiter, genau wie ein Tier, das zwar keinen Haß kennt, aber seinen Reflexen ausgeliefert ist. Menschen also, in denen ein tiefer Haß brennt, dessen eigentliche Ursache sie aber nicht verstehen wollen, sind am Ende dieser Kette eher animalisch als human. Das ist auch so, wenn dieser Haß sich politisch ausdrückt.“ 

Plädoyers für das „richtige“ Hassen

Der Text weckt Zweifel an der Zurechnungsfähigkeit seiner Verfasserin. Sie stellt fest, daß die Fähigkeit zum Haß den Menschen vom Tier unterscheide, um wenige Sätze zum Schluß zu kommen, daß der hassende Mensch sich auf der Stufe des Tieres befinde. Der Vorwurf der „Haßrede“ entlarvt sich als Projektion eines hysterisierten Selbst. Man könnte Frau Kahane auch mit Adorno antworten: „Auschwitz beginnt da, wo sich einer hinstellt und sagt: ‘Das sind doch nur Tiere’.“

Eben dieser Ton wird in den großen, von linken und liberalen Wortführern und Zuarbeitern bestückten Medien hoffähig. Während auf breiter Front gegen Haß von rechts vorgegangen wird, durfte der Pop-Journalist Jens Balzer im Deutschlandradio – das Medium ist Teil der Botschaft – unwidersprochen seinen Traktat „Umgang mit Rassismus – Hassen? Ja, aber das Richtige!“ zu Gehör bringen. Balzer ist intelligenter als Kahane und verfällt trotzdem in ihren Sound: „Haß, überall Haß. Er ist allgegenwärtig. In den Medien; in den sozialen Netzwerken; in den verzerrten Fratzen der Wutbürger; im Gehirn des Mannes, der in Halle eine Synagoge zu stürmen versuchte und nach dem Scheitern dieses Versuchs zwei Menschen erschoß. Der Haß zerstört unsere Gesellschaft, es muß etwas gegen ihn getan werden usw.“

Es gibt in dieser Darstellung keine falsche, destruktive Politik, sondern nur ein falsches Bewußtsein, das sich in der Dreiheit aus „Rassismus, Nationalismus, Suprematismus“ entäußert. Dagegen müsse der Haß als „Ressource“ mobilisiert werden, der in dem Fall kein Affekt, sondern Ausdruck „kompromißloser Entschiedenheit“ sei „zur Verteidigung des Individuums und der Freiheit gegen die Tradition und den Zwang“. Balzer schließt mit dem Aufruf zum – vorerst nur – geistigen Bürgerkrieg: „Wir müssen wieder hassen lernen – und zwar richtig.“ 

Acht Wochen zuvor hatte der Feuilletonist und Romanautor Felix Stephan  in der Süddeutschen Zeitung unter dem Titel „Plädoyer für den Haß: Wir haben lang genug geliebt“ bereits einen ähnlich gearteten Traum vom gefährlichen Leben publiziert. Er las sich wie die unfreiwillige Parodie auf Brechts „Seeräuber-Jenny“. Fehlte nur noch, daß er den Befreiungstheologen Ernesto Cardenal zitierte: „Revolutionäre sind Liebende. Revolutionäre weinen, wenn sie töten.“

Panik über eine Gesellschaft im Abstieg

Tatsächlich vertreten die kleinen Haßtrompeter den Standpunkt, einen guten, weil reaktiven Haß als Antwort auf die rechte Bedrohung ihrer hohen Ideale einschließlich der Liebe zu propagieren. Auch das ist nichts Neues unterm geteilten Himmel. Der Lyriker und Parteibarde Helmut Preißler hatte vor über fünfzig Jahren Jahren in dieselbe Kerbe geschlagen: „Aber der Haß/  ist der starke Bruder der Liebe/ (…) /Gut ist der Haß/( …) / gegen die Menschen, die / Not und Elend verschulden ...“ 1989 guckten Leute wie Preißler sehr dumm aus der Wäsche. Zudem stellte sich heraus, daß er seit 1960 intensiv Kollegen bespitzelt hatte. Die letzte Leidenschaft, zu der die Bundesrepublik nach 70 Jahren ihrer Existenz anscheinend noch inspiriert und begeistert, ist der Rückfall in DDR-Stereotype.

Als Ausdruck eines Zeitgeistes sind solche Texte dennoch ernst zu nehmen. Aus ihnen spricht eine hohe Emotionalität, die mühsam zurückgestaute Panik über eine Gesellschaft im Abstieg. Weiterhin kennzeichnet sie eine eklatante Schwäche, die Unfähigkeit nämlich, sich dem Abstieg zu stellen: der Masseneinwanderung aus fremden Kulturräumen, der Demographie, dem Schwinden der inneren Sicherheit, der Erosion des Rechtsstaates, der Absenkung der Bildungsstandards, dem permanenten Abfluß kluger Köpfe im Tausch gegen Analphabeten, der Verluderung des öffentlichen Raums. Stattdessen flüchten die Autoren sich in Halluzinationen über „rechten Haß“ als das Grundproblem unserer Epoche. Das ist zwar verrückt, doch weil sie sich mit der etablierten Politik darin einig sind, besitzt ihre Bürgerkriegsrhetorik das Potential, in offizielles staatliches Handeln übersetzt zu werden. Das macht sie so unheimlich und bedrohlich.