© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 48/19 / 22. November 2019

Depressiv ins ewige Eis
Frau am Rande des Nervenzusammenbruchs: Zum Kinostart von „Bernadette“
Dietmar Mehrens

Welche Zutaten benötigt ein Film, der so richtig gut in unsere Zeit paßt? Ganz wichtig wäre auf jeden Fall eine Frau, die ihren Mann steht, Chancen und  Risiken der Digitalisierung müßten eine Rolle spielen und – na klar – der Klimawandel, am besten versinnbildlicht durch ein paar Eisbären in Not.

Eisbären gibt es in „Bernadette“ keine. Deren Rolle spielen Pinguine und die der Frau, die ihren Mann steht, Cate Blanchett. Die ist nebenberuflich UN-Botschafterin für Staatenlose, ein weiblicher George Clooney gewissermaßen, und insofern die Idealbesetzung für Bernadette Fox, eine viel bewunderte Architektin und Hauptfigur in dieser Midlifekrisenkomödie von Richard Linklater. Der Regisseur hat sich durch innovative Filme wie „Waking Life“ (2001) oder „Boyhood“ (2014) einen Namen gemacht und durch die Quasselromanze „Before Sunrise“ (1995) mit ihren beiden Fortsetzungen einen cineastischen Kultstatus erobert. Bei der Verfilmung des Romans „Wo steckst du, Bernadette?“ von Maria Semple (als Taschenbuch 2015 erschienen) gibt es jedoch nicht so viel Neuartiges zu entdecken, es sei denn, man hat noch nie einen Film mit einer modernen weiblichen Protagonistin gesehen.

Bernadette Fox ist die einzige Frau in der Männerdomäne der Trend-Architektur, ein Spitzentalent. Ihren Namen verdankt sie der Heiligen von Lourdes, die 18 Marienerscheinungen hatte. Sonst hat es Bernadette, als aufgeklärte Frau von Welt, aber nicht so mit der Religion. Immerhin: Zwei Visionen, sagt ihr Ehemann Elgie, der als Entwickler für Microsoft arbeitet, hat die Meisterarchitektin bereits Wirklichkeit werden lassen. Eine davon ist das sogenannte 20-Meilen-Haus, dessen Besonderheit darin besteht, daß seine Baustoffe alle aus einem Umkreis von zwanzig Meilen beschafft wurden – ein Exempel für Nachhaltigkeit. Daß das Musterhaus samt Grundstück von einem ignoranten Macho-Millionär (nein, nicht Donald Trump) aufgekauft und zugunsten eines Parkplatzes wieder abgerissen wurde, traf die Visionärin ins Mark.

Hinzu kam eine Reihe von Fehlgeburten. Einzig Töchterchen Bee, auch Buzz genannt, kam gesund zur Welt. Als die, inzwischen flügge werdend, sich einen Nachhaltigkeits-Familienurlaub in der Antarktis wünscht, löst das bei Bernadette schwere Ängste aus. Daß sie verschreibungspflichtige Medikamente wie Murmeln in einem Glas sammelt, weil das so schön bunt aussieht; daß sie das FBI auf den Plan ruft, weil sie im Internet unsachgemäß mit persönlichen Daten umgeht, das sind Dinge, die die Lage nicht besser machen. Ein Streit mit ihrer stutenbissigen Nachbarin Audrey und die illoyale Haltung ihres Ehemanns, der sich für eine Therapie in einer Spezialklinik ausspricht, führen schließlich dazu, daß die Pferde mit der Architektur-Ikone durchgehen: Sie macht sich auf eigene Faust auf den Weg ins ewige Eis. Dort wird sich zeigen, was Experten schon immer wußten: Bernadette ist nur depressiv geworden, weil sie nicht mehr kreativ sein konnte.

Komödiantisch aufgeladenes  Zeitgeist-Rührstück

Für den Film heißt die Schiffsreise Richtung Südpol vor allem, daß endlich ein paar aufregende Bilder auf die Leinwand kommen. Denn viel zu zäh entfaltet sich im ersten Teil die Handlung. Die erste halbe Stunde ist glatt verschenkt. Viel zu lange bleibt offen, worum es eigentlich gehen soll in „Bernadette“: um Medikamentenmißbrauch, um Depressionen, um Umweltschutz, um eine kriselnde Upperclass-Ehe oder „Desperate Housewives“-tauglichen Zickenterror in der Nachbarschaft? Die Unentschlossenheit hinsichtlich der thematischen Fokussierung offenbart eine Schwäche vieler Romanverfilmungen: Was als Buch funktioniert, muß es als Film noch lange nicht. Ein zweites Problem ist, daß man Blanchett die Rolle der kriselnden Erfolgsfrau nicht recht abnimmt. Auch als Depressive stolziert sie immer noch erstaunlich selbstsicher durch Linklaters Tragikomödie.

Außer der unorthodoxen Antarktis-Idee wirkt alles in diesem komödiantisch aufgeladenen Zeitgeist-Rührstück wie am Reißbrett entworfen und mit vorgefertigten Bauteilen zurechtgezimmert, und zwar für ein eindeutig weibliches Publikum. Am Anfang einer guten Geschichte, die auch für die große Leinwand taugt, sollte aber keine Liste mit zeitrelevanten Themen stehen, die abgearbeitet werden muß, sondern eine pfiffige Idee, ein kreativer Geistesblitz. Davon ist in „Bernadette“ wenig zu spüren.

Zwar unterhält der Frauenversteher-Film durch ein paar lustige Einfälle: Ein Hund (der auf den originellen Namen Eiskrem hört) steckt in einer unzugänglichen Abstellkammer fest, eine Brombeerstrauchrodung verursacht eine Schlammlawine; zwar würzen hier und da Bonmots die Dialoge. Doch kann Linklater sich diesmal nicht darauf verlassen, daß Wortwitz und Schlagfertigkeit einen mittelmäßigen Film aus dem Mittelmaß herauskatapultieren. Eisberge versprechen da mehr Erfolg. Als der Texaner aber die Antarktis-Expedition im letzten Drittel seiner Regiearbeit endlich losgehen läßt – gedreht wurde übrigens tatsächlich auf dem Südpolarkontinent sowie auf Grönland – ist es fast schon zu spät, um den Film noch zu retten. Doch vielleicht kommt es darauf ja auch gar nicht an. Viel wichtiger ist schließlich die Rettung des Planeten.