© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 48/19 / 22. November 2019

Leserbriefe

Zum Schwerpunktthema: „Als wir wieder zu uns kamen“, JF 46/19

Strauß, Barzel, von Habsburg

Die umfangreichen Artikel zum 30. Jahrestag der Öffnung der Mauer in Berlin in der JUNGEN FREIHEIT sind mehr als verdienstvoll. Zugleich möchte ich hier selbst einen kurzen Rückblick werfen: Der Fall der Berliner Mauer und des Eisernen Vorhangs, die Wiedervereinigung Deutschlands und das Ende des Ostblocks bieten allen Anlaß zu Freude und Dankbarkeit. Allerdings mußte ich mir vor 50 Jahren im Studium sagen lassen, daß ich mich „mit meinen veralteten Wiedervereinigungsvorstellungen nur lächerlich machen“ würde. 

Dabei schuf das Bundesverfassungsgericht 1973 mit einem Grundsatzurteil glücklicherweise Klarheit, daß die Ostverträge die Wiedervereinigung nicht behindern dürften. Bis kurz nach dem Mauerfall befürworteten lediglich noch konservative Politiker der Unionsparteien wie Franz Josef Strauß, Rainer Barzel und Otto von Habsburg die Wiedervereinigung und wurden dafür von linker Seite vielfach als „Kalte Krieger“ beschimpft. Beispielhaft hierfür sind die Zitate prominenter Sozialdemokraten wie Egon Bahr, Gerhard Schröder, Hans-Jochen Vogel, Willy Brandt, Oskar Lafontaine, Klaus Bölling und Manfred Stolpe (siehe Bayernkurier vom 7. Oktober 2000).

Noch etwas anderes kommt hinzu: Hätten wir den Wiedervereinigungsanspruch aufgegeben, so hätte die DDR niemals den Plan einer „Wiedervereinigung“ im kommunistischen Sinn fallengelassen, vereinzelte Aussagen (auch von Honecker selber) bestätigen dies. Die Absicht der DDR, West-Berlin bei passender Gelegenheit einzunehmen, sowie die Ausbildung einer „Gruppe Ralf Forster“ der westdeutschen DKP in der DDR bildeten Bestandteile dieses Konzeptes. Daß es zum Glück anders kam, wird völlig zu Recht als Wunder angesehen.

Dr. Wolfram Euler, München






Zu: „‘Ein phantastischer Moment!’“, im Gespräch mit Angelika Barbe, JF 46/19

Geradlinig und konsequent

Ihre Interviewpartnerin Angelika Barbe ist eine Bürgerrechtlerin, die überzeugt. Sie ist geradlinig und konsequent im Handeln. Vielen Westdeutschen ist überhaupt nicht bewußt, wie die Warnungen von Bärbel Bohley Wirklichkeit werden, weil sich dieser Prozeß schleichend und allmählich vollzieht. Die Haltung und Rolle der SPD und ihrer Funktionäre sollte, unter Berücksichtigung des SPD/SED-Strategiepapiers von 1987, ehrlich erörtert werden.

Marieluise Fieger-Besdziek, Freiburg




Absolution durch Gregor Gysi

Frau Barbe habe ich in mein Herz geschlossen, sie legt immer den Finger in die schwärende Wunde dieses Staates und sagt dem linken, rot-grünen, politsch-medialen-sozialen Komplex (und damit meine ich auch die Merkel-CDU) die Wahrheit ins Gesicht. Auch ihr an Wolf Biermann gerichteter, in der JF veröffentlichter Brief ist nur jedem politisch-kritisch Denkenden zu empfehlen. Dieser unheilvollen Allianz von SPD und Linken haben wir den heutigen Zustand einer DDR 2.0, wohlwollend von Frau Merkel gefördert, zu verdanken. Aber wer Gregor Gysi zum 9. November in Leipzig, in der Martins-Kirche, reden läßt, bedarf wohl dessen Absolution, ist doch die sächsische evangelische Landeskirche offenbar wieder in der DDR angekommen. Nach dem Mobbing gegen ihren Landesbischof Rentzing kann man das fast glauben. Mit ihrer Weitsicht vor 30 Jahren hat Frau Bohley recht gehabt, aber daß sich dieser despotische sozialistische Mehltau so über das Land legt, haben wir weder geahnt noch erwartet, wir naiven Demokraten in unserem Jubel über die wieder errungene Einheit unseres Vaterlandes.

Volker Krause, Arnsberg




Prophetische Worte Bohleys

Selbst im Südwesten der BRD aufgewachsen und als Jugendlicher an Politik kaum interessiert, waren die Lebensumstände der DDR für mich lange nur schwer zu begreifen. Kurz nach der Wende bereiste ich aus beruflichen Gründen des öfteren die neuen Bundesländer und war positiv überrascht über die vielen gebildeten, sympathischen und grundanständigen Menschen, die ich dort traf. Erst dann begriff ich vollumfänglich die Bedeutung der Wiedervereinigung. Die damalige Ossi-Bewitzelung und heutige Herabwürdigung wegen angeblicher Rückständigkeit und Demokratiedefiziten empfand ich immer als unberechtigt. Die präzise Gegenwartsanalyse von Frau Barbe und die prophetischen Worte von Frau Bohley machen mich sehr betroffen, bestätigen sie doch meine eigenen Wahrnehmungen dahingehend, daß sich Rechtsstaat und Demokratie in Deutschland seit mehreren Jahren im Niedergang befinden und die Transformation zu einer DDR 2.0 in vollem Gange ist.

Matthias Schneider, Speyer






Zur Karikatur: „Beim nächsten Mal bleib’ ich bei dir, Bodo“, JF 45/19

Bald Zeit für Chamäleon-Outfit

Das reizvolle, vielsagende Bild ist seines geradezu unterschwellig schamhaften Untertons wegen keineswegs als einfache Karikatur zu verstehen. Während Mike noch träumt, scheint Bodo offenen Auges die Zukunft zu schauen, den Zeitpunkt, wo die beiden sich nicht mehr vor dem strengen Zugriff einer Mutti zu verstecken haben, weil dann in ihrem schillernden Chamäleon-Outfit die altvertraute geliebte Farbe Rot immer deutlicher sichtbar sich zeigt. Wenn es dann endlich so weit gekommen ist, daß ein einfacher Wagenknecht mit einem maroden Karrenbauer Schlitten fährt, ja dann werden einige Millionen Deutsche, vor allem aus dem östlichen Teil, sich unstreitig besorgt fragen, warum haben wir seinerzeit über all die bitteren Jahre hinweg Not, Drangsale, Schikanen und schlimmste Bedrohung von Leib und Leben bis zu unserer endlich, endlich erreichten Freiheit in Kauf genommen, um uns jetzt von unseren ehemaligen Peinigern, sie sich den Namen und das Mäntelchen auf links gewendet haben, erneut beherrschen lassen?

Wolfgang Jäger, Dortmund






Zu: „Zum Tod von Günter Zehm“, JF 46/19

Begleiter seit meiner Jugend

Mit Bestürzung nehme ich die Nachricht vom Tode Günter Zehms zur Kenntnis. Seine Texte haben mich seit meiner Jugend begleitet. Zu Zeiten seines Wirkens in der in meinem Elternhaus abonnierten Welt und im Rheinischen Merkur noch sporadisch, seit er in der JF schrieb, regelmäßig. Seit 1995 habe ich wohl keinen „Pankraz“ versäumt. Er wurde mir zu einem ständigen Begleiter meines Lebens. 

Dank gilt Ihrer Zeitung, daß Sie diesen großartigen Denker und Publizisten an sich binden konnten. Thorsten Thaler schreibt, gern hätten Sie die Zusammenarbeit mit einem weiteren Sammelband zum 25jährigen Jubiläum gekrönt. Warum der Konjunktiv? Als treuer Leser von „Pankraz“ und Ihrer Zeitung wünsche und hoffe ich, daß Sie aus dem reichen Fundus der Texte Günter Zehms mehr als nur einen weiteren Sammelband herausgeben. Die zuletzt veröffentlichten lesenswerten Bände „Abbild und Ereignis – Über Kunst, Theater und Film in der Moderne“ und „Freie Rede – Über Tiefen und Untiefen des freien Sprechens“ sollten Vorbild und Ansporn sein.

Heiko Brandes, Sangerhausen




Ein freier, ermunternder Geist

Wir werden seinesgleichen so bald nicht wieder lesen. Ein freier Geist, von den Hörigen zu Recht immer wieder angegriffen und doch immer wieder standgehalten. Den Geifernden zur Scham – und zur Ermuterung der Niedergeschlagenen. Selten hat einer zum Beispiel so verständnisvoll und einfühlsam über die Soldaten des letzten Krieges und ihren Opfergang geschrieben und dabei die Mißachtung durch die Heutigen verurteilt.

Karl-August Hennicke, Bad Kissingen






Zu: „Die Chance ergreifen“ von Michael Vollstedt, JF 45/19

Wahrscheinlich ein Druckfehler

Es bedurfte keineswegs eines mißbilligenden Kommentars des deutschen Außenministers aus der fernen Türkei, um zu erkennen, daß der Kramp-Karrenbauer-Vorschlag zur Errichtung einer Sicherheitszone in Nordsyrien unter Einbeziehung der Nato und damit Deutschlands wenig realistisch erscheint. Assad hat den Vorschlag bereits abgelehnt. Ein Einmarsch von Nato-Truppen gegen seinen Willen wäre wieder eine klare Verletzung des Völkerrechts. Daß die Chance auf ein Mandat im UN-Sicherheitsrat (angesichts der russischen und chinesischen Interessen) „nicht unrealistisch“ sei, erscheint mir eher ein Druckfehler, denn ein ernsthaftes Argument. 

Daß Rußland, das legal in Syrien operiert, eine Nato-gesteuerte Maßnahme in Nordsyrien akzeptieren würde, erscheint mehr als fraglich, und wo Deutschland dann politisch und wirtschaftlich profitieren könnte, bleibt ziemlich unklar. Die möglicherweise nachlassende Migration aus Syrien wird durch den wachsenden Migrationsdruck aus Afrika mehr als wettgemacht, wenn man den Prognosen glauben will. Und wenn Assad darangeht, sein Land wieder aufzubauen, wird er wohl eher keine Aufträge an Aggressoren, zu denen leider auch Deutschland gehört, vergeben. Wo also hier die Chance liegen soll, die Deutschland ergreifen könnte, erschließt sich mir nicht.

Klaus Wiedmann, Plön






Zu: „‘Hoffentlich dreht keiner durch’“, im Gespräch mit Kurt-Henning Klamroth, JF 45/19

Habitat und Produktionsflächen

Ihrem Interviewpartner möchte ich in jeder Hinsicht recht geben. Die Landwirtschaft leidet seit langem an ständig neuen, die Kosten treibenden Restriktionen. Wenn man sieht, wie Landwirtschaft etwa in Frankreich, den Benelux-Ländern oder Spanien betrieben wird, versteht man, daß für deutsche Bauern durch die strengen Auflagen einseitig Kosten erhöht werden, was zu Wettbewerbsnachteilen führt und gleichzeitig noch mehr Intensivierung nach sich ziehen muß, weil nur so Produktionskosten gesenkt werden können. Wir müssen aber auch zur Kenntnis nehmen, daß der drastische Artenrückgang bei Vögeln und Insekten des Ackerlandes und Grünlandes sehr wohl durch die modernen Produktionsmethoden verursacht wird. Will man hier etwas Wirksames tun, wird man mit Hilfe der Wissenschaft wohl eine Trennung von Produktionsflächen und naturnahen Habitaten vornehmen müssen. Die Lösung könnte sein, ein Netz von etwa zehn Prozent der Fläche mit heimischen Kräutern und Gebüscharten zu bewirtschaften, wobei diese Flächen nicht inselartig verteilt, sondern wie ein Netz über die Gesamtfläche gelegt werden müssen. Das kostet Geld – für die Bewirtschaftung dieser Flächen und für den Ertragsausfall der Landbesitzer. Diese Kosten muß aber wohl die Allgemeinheit übernehmen.

Walter Schulz, Blaufelden






Zu: „Großstadtperspektive“ von Christian Vollradt, JF 45/19

Polemisch und frevelhaft

Die Polemik von Christian Vollradt stellt ein hilfloses Vermeiden einer notwendigen sachlichen Abwägung zwischen gesunder Umwelt und preiswerter Lebensmittelproduktion dar und ist damit wertlos. Wenn der Maßstab bäuerlichen Handelns nur das Ziel ist, „noch billiger“ herzustellen, wird unsere Umwelt in einer Weise ausgenutzt, die zur Verarmung aller Tier- und Pflanzenarten führt. Das ist frevelhaft und eine Versündigung an der Zukunft unserer Kinder und Enkel.

Prof. Jens P. Fehrenberg, Hildesheim






Zu: „Amoklauf in eine neue Welt“ von Thorsten Hinz, JF 42/19

In Windeseile ins Nichts

Thorsten Hinz hat einmal mehr eine formidable Abhandlung vorgelegt und die großen Entwicklungen in unserer Gesellschaft trotz all ihrer scheinbaren Widersprüchlichkeiten mit einer gemeinsamen Klammer versehen. In der Tat haben diese Prozesse oberflächlich nur wenig miteinander zu tun. Einige tragen aber quasireligiöse, endzeitliche Züge und entspringen allesamt der Natur und der Gedankenwelt des von Hinz erwähnten „Alten Adam“, der sich heute wie damals konsequent gegen Gott stellt. Schon zu Beginn fand der heute noch aktive Geist eine geeignete Sprechpuppe, durch die er dem Adam „Gottgleichheit“ einredete (Gen 3,1-5). Nach wie vor bestärkt er den von seinem Schöpfer vollständig abgeschnittenen „Alten Adam“ durch willige Propheten in dessen Wahn und Streben nach dem perfekten, dem Neuen Menschen und nach einer vollkommenen Welt. 

Klar ist, daß sich Adam dabei umsonst quält und abmüht, daß die ersehnte Metamorphose hin zum vollkommenen Menschen ohne das Zutun seines Schöpfers für immer eine Täuschung bleiben wird. Um Adam anzuspornen, wird auf eine alte, leider häufig bewährte Masche zurückgegriffen: Das Wort Gottes wird im eigenen und damit im Sinne des Zeitgeistes umgedeutet und in das glatte Gegenteil verkehrt. In diesem Sinne ist Hinz ohne weiteres beizupflichten, wenn er meint, in der vor allem in der westlichen Welt verbreiteten Utopie eines „rasse-, volks- und nationslosen“, „geschlechtsneutralen, androgynen“ Menschen könne man die Umrisse des im Epheser- und Kolosserbrief angekündigten Neuen und vom „Alten Adam“ befreiten Menschen erkennen. Dieser Neue Mensch wird, vielsagend, eben nur in Umrissen sichtbar. Vollkommen gottbefreit, hat dieser mit dem von Paulus Beschriebenen gar nichts zu tun. Im Gegenteil. Seine Gestalt ist das totalitäre, unduldsame Gegenstück zu dem in Christus neu erschaffenen Menschen. Bis Gott persönlich dem chaotischen Treiben in dieser Welt ein Ende setzen wird, dürfte alles Trachten und Mühen des immer noch „Alten Adam“ nach einer Verbesserung seiner selbst und nach seiner Traumwelt nichts anderes sein als das schon seit Urzeiten andauernde, aber vergebliche „Haschen nach Wind.“ (Pred 1,14).

Albert Miller, Ravensburg