© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 49/19 / 29. November 2019

Roger Hallam. Dem Extinction- Rebellion-Chef wird Relativierung der Shoa vorgeworfen
„Demokratie ist irrelevant“
Fabian Schmidt-Ahmad

Scharfe Adlernase, hohle Wangen, stechende Augen, die scheinbar stets im Kampf mit Dämonen liegen, so stellen wir uns meist jene charismatischen Wanderprediger vor, die in der Vergangenheit Abertausende in religiöse Raserei trieben. Doch Roger Hallam lebt heute, und seine Botschaft kommt ohne Gott aus – aber sonst sind alle Zutaten da: das nahe Weltgericht, die sündhafte Menschheit sowie eine Schar Auserwählter, die das Übel bekämpft und sich „Extinction Rebellion“ (Aufstand gegen das Aussterben) nennt.

Vor einem Jahr gründete der 1966 geborene Brite mit anderen die Klimaschutzbewegung, gegen die „Fridays for Future“ eine Mädchen-Hüpfburg ist. Denn wo die globale Ausrottung bevorsteht, kann auf nichts mehr Rücksicht genommen werden: „Demokratie wird irrelevant“, so Hallam, „wenn eine Gesellschaft so unmoralisch handelt. Dann kann es nur noch direkte Aktionen geben, um das zu stoppen.“

Drei Jahrzehnte war Hallam Biobauer. Der Wandel kam mit einem Regen, der die Ernte und damit seine Existenzgrundlage vernichtete. Verursacht, wie Hallam meint, durch menschengemachten Klimawandel. Er sei damals bald verrückt geworden. Danach studierte er am Londoner King’s College das Fach „civil disobedience“ (Ziviler Ungehorsam). Als sich die Uni 2017 weigerte, Mittel zur Erforschung erneuerbarer Energien bereitzustellen, setzte er das Erlernte um und beschmierte die Eingangshalle mit Parolen. Das brachte ihm zwar eine Klage ein, jedoch floß danach das Geld. Illegale Aktionen waren also effektiver als Gespräche, diese Erfahrung prägte Hallam. Zuletzt wurde er verhaftet, als er den Flughafen Heathrow mittels Drohnen lahmzulegen versuchte. 

Zwar lehnt XR, wie sich Extinction Rebellion abkürzt, offiziell Gewalt ab, doch Hallam machte klar, daß bei den politischen Änderungen, die er anstrebe, nicht nur keine Rücksicht auf die Demokratie genommen werden könne, sondern daß, wie er in einer Rede sagte, bei „diesem Prozeß manche sterben könnten“. Und seine Anhänger ruft er auf, bereit zu sein, auch ins Gefängnis zu gehen.

Das alles war freilich kein Grund für schlechte Presse in Deutschland. Die bekam er nun erst, weil er sich über die zivilreligiöse Konkurrenz mokierte. Die Deutschen, so Hallam in der Zeit, seien durch den NS-Massenmord wie gelähmt: „Ein extremes Trauma kann zu Paralyse führen, die verhindert, die richtigen Schlüsse zu ziehen.“ Dabei sei die Geschichte der Menschheit voll blutiger Völkermorde und der Holocaust nur „ein weiteres Scheiß-Ereignis“ darin. Nun wird ihm vorgeworfen, die Shoa relativiert zu haben. Der deutsche XR-Ableger hat sich schon von ihm distanziert, der Ullstein-Verlag seinen Buchvertrag mit ihm gekündigt. Rebellen hat man hierzulande gerne, aber bitte nicht, wo es wehtut.