© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 49/19 / 29. November 2019

Vielleicht ein Held
Laudatio auf Alexander Wendt: Guter Journalismus hat Mut zu unpopulären Wahrheiten
Alexander Baur

Es ist mir eine Ehre, hier stehen zu dürfen und dabei dem großartigen Löwenthal meine Referenz zu erweisen. Und Sie, lieber Alexander Wendt, gesellen sich in eine Reihe von respektablen Preisträgern. Lieber Kollege – von Alexander zu Alexander – Sie dürfen stolz sein. Das Problem mit den Preisen und Anerkennungen ist grundsätzlicher Natur. Ein unabhängiger, frei denkender und schreibender Journalist wittert in jeder Umarmung erst mal eine Bedrohung. Unser Journalisten-Ego wird mal geprügelt und mal gehätschelt, mal verflucht und im schlimmsten Fall demonstrativ ignoriert. Wir sind grundsätzlich niemandem verpflichtet, außer unserem Leser. Und Sie schätze ich als herausragender Journalist. Erstens können Sie so schreiben, daß man ihre Geschichten versteht und gerne liest. Zweitens haben Sie einen Riecher für relevante Themen. Und drittens lassen Sie sich nicht mittragen von Modeströmungen und Klischees. Sie gehen dorthin, wo es echte Widersprüche gibt. 

Dann wäre da ein vierter Punkt, der wichtig ist und gerne vergessen wird: Sie reden mit den Menschen, machen sich vor Ort ihr eigenes Bild. Ich nehme zwei Beispiele aus Ihrem reichen Schaffen. Beispiel eins: Alexander Wendt wagte es als einer der ersten Journalisten in Deutschland, über die Nebenwirkungen und Gefahren der deutschen Energiewende zu schreiben. Fast wagt man es nicht zu sagen: Wo kommt der Ökostrom her, wenn kein Wind bläst oder keine Sonne scheint, was leider in Deutschland meistens der Fall ist! Wenn man genauer rechnet, sieht man, daß Solar-, Wind- oder Biomassegeneratoren teuer und ineffizient sind und eine schlechte Ökobilanz ausweisen. Es braucht viel Mut, in Zeiten einer Ökohysterie auf solche Banalitäten hinzuweisen. Beispiel zwei: Wendts Berichte und Recherchen über den „schwarzen Sonntag“ in Chemnitz und die imaginären rassistischen Hetzjagden, die es nie gegeben hat. Hier brauchte es schon sehr viel Mut, um sich nicht von der Massenhysterie anstecken zu lassen. Denn: Wer nicht im Panik-Chor der Nazi-Warner mitsingt, der wird selber zum Nazi abgestempelt. 

Nicht Gesinnung, sondern Redlichkeit

Guter Journalismus zeichnet sich niemals durch die Gesinnung aus, sondern durch Redlichkeit, handwerkliches Können und Relevanz. Sicher ist: die Wahrheit stellt sich niemals in den Dienst einer Sache, und mag die Sache noch so gut sein. Denn: Die Glaubwürdigkeit ist unser einziges Kapital. Und die erlangen wir nur durch Redlichkeit, freie Rede und Gegenrede. Auch das ist aber leider nicht mehr selbstverständlich. Wir leben in einer recht friedlichen und ersprießlichen Zeit, nicht nur in Europa. In den letzten Jahrzehnten wurden gerade in vielen Entwicklungsländern erfreuliche Fortschritte registriert: Bildungsgrad und Lebenserwartung sind weltweit gestiegen. Im selben Grad sind Unterernährung und Kindersterblichkeit gesunken. Wie paradox ist es, daß ausgerechnet in dieser Zeit ein hysterisches Klima der Apokalypse herbeigeredet wird. Und es sind nicht irgendwelche Sekten, die den ökologischen Weltuntergang, die Wiederauferstehung des Nazitums oder den gentech-atomaren Supergau predigen – nein, das alles ist heute Mainstream. 

Wer dagegenhält, wird ausgegrenzt und in den Topf der Menschenfeinde oder Nazis geworfen. 

Dieser Preis ist dem freien Denken und der freien Rede gewidmet – Freiheiten, die mir in Deutschland zusehends bedroht scheinen. Ich sage dies als Schweizer, der als Teenager jeweils auf ARD und ZDF die schneidigen, messerscharfen Wortgefechte verfolgte, die in der behäbigen Schweiz unüblich waren. Ihr redet schneller, als wir Eidgenossen denken können. Aber manchmal scheint mir, als denken viele nicht mehr beim Herunterbeten von Gemeinplätzen. Ich mag diese atemlosen Pseudodebatten am TV, in denen das Wesentliche ausgeklammert wird, gar nicht mehr hören. Ich vermisse diese freie, tabulose Streitkultur. 

Lieber Alexander Wendt. Vielleicht sind Sie ein Held. Vielleicht können Sie einfach nicht anders als das zu schreiben, was geschrieben werden muß. Was auch immer ihr Antrieb sein mag – Sie haben es seit Jahren immer wieder und auf ständig hohem Niveau geschafft, hervorragenden Journalismus zu liefern. 

Sie haben diese Ehrung mehr als verdient. Und wenn Ihnen die Umarmung suspekt ist, kann ich Sie beruhigen: Der Gegenwind wird ihnen morgen schon wieder um die Ohren wehen.