© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 49/19 / 29. November 2019

„Alle Parteien sind zu weiß“
Politiker mit Einwanderungshintergrund: Zwischen Klientelpolitik und Parteiräson
Björn Harms

Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik hat eine deutsche Großstadt einen Bürgermeister mit türkischen Wurzeln. In der vergangenen Woche legte Hannovers bisheriger Amtsinhaber Thomas Hermann (SPD) in einer kurzen Zeremonie dem neuen Oberbürgermeister (OB) Belit Onay (Grüne) im Rathaus die Amtskette um den Hals, am Donnerstag folgte die offizielle Vereidigung. Für die einen ist die Wahl Onays ein klares Zeichen der zunehmenden muslimischen Unterwanderung, für die anderen die endlich fällige Konsequenz einer sich veränderten Multikulti-Gesellschaft.

Der in Goslar geborene Sohn türkischer Gastarbeiter berichtete am Freitag von Drohungen und Beleidigungen im Netz aufgrund seiner Herkunft. „Das schlägt einem schon aufs Gemüt“, räumte er ein. Tatsächlich gleicht Onays Leben einer Erfolgsgeschichte. Schon als Angehöriger der zweiten Einwandergeneration ist es ihm gelungen, in Deutschland problemlos Fuß zu fassen. Der Jurist will sich in den kommenden Jahren klassisch grünen Themen widmen. Bis 2030 soll Hannovers Innenstadt autofrei werden, auch der Klimaschutz steht bei ihm hoch im Kurs. Er selbst versteht sich als „liberalen Muslim“ und versichert: „Ich will ein Oberbürgermeister für alle sein.“

Schuld an allem Übel ist die deutsche Gesellschaft

Daß die Interessen des neuen OB jedoch im besonderen Maße auch von seiner Herkunft und Religion geprägt sind, verdeutlicht eine Aussage, der zufolge der 38jährige sich auch für Veränderungen im Herkunftsland seiner Eltern einsetzen wolle. „Ein Teil der Türkei will sich wandeln, das müssen wir von Deutschland unterstützen“, so Onay. Ebenso möchte er als Oberbürgermeister verfolgten Kurden in Hannover eine Plattform geben. 

Wie man es auch dreht und wendet, mit seiner Positionierung trägt er unweigerlich dazu bei, daß ein auswärtiger Konflikt innenpolitische Konsequenzen für Deutschland hat. Merkwürdig mutet auch ein Treffen aus dem Jahr 2016 an: Damals lud er als Landtagsabgeordneter den islamischen Dachverband ATIB („Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa e.V.“) ins niedersächsische Parlament ein. ATIB steht laut hessischem und bayerischem Verfassungsschutz der rechtsextremen „Graue Wölfe“-Bewegung nahe.

Doch öffentlich positioniert sich Onay deutlich kritisch gegenüber dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Er folgt damit einer Linie vieler weiterer türkischstämmiger Politiker wie Cem Özdemir oder Canan Bayram. Das gilt freilich nicht für jeden: Der erste türkischstämmige Abgeordnete eines deutschen Landesparlaments war Hakki Keskin. Der promovierte Politikwissenschaftler zog 1993 für die SPD in die Hamburger Bürscherschaft ein, später saß er für die Linkspartei auch im Bundestag. Eine schillernde Figur mit fragwürdiger Loyalität: Jahrelang war er Vorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland, die als regierungshörige türkische Lobby gilt. Von 2015 bis 2017 fungierte er als stellvertretender Vorsitzender der türkischen „Vatan Partisi“, einer linksnationalistischen Partei.

Heute sind es Politiker wie der Essener Stadtrat Ahmad Omeirat (Grüne), die ihre Klientelpolitik sogar auf die Ebene der Familie herunterbrechen. Omeirat  – ein an Rhein und Ruhr bekannter Name in der Organisierten Kriminalität – nutzte vergangenes Jahr die Bühne der ARD-Sendung „Hart aber fair“, um den Umgang mit arabischen Clans zu kritisieren und die kriminellen Strukturen der Familien herunterzuspielen. Ende Mai unterstellte er der nordrhein-westfälischen CDU Nazi-Methoden. Anlaß war die „Politik der 1.000 Nadelstiche“, die NRW-Innenminister Herbert Reul gegen die Libanesen-Clans fährt.

Vor allem in der SPD sammeln sich häufig Personen, die den Islam unkritisch protegieren. Die ehemalige Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz (SPD), bekannt für ihren Ausspruch, jenseits der Sprache gebe es keine deutsche Kultur, gilt als Paradebeispiel. 

„Die Deutsch-­Türkin ist eine einflußreiche Netzwerkerin und geschickte Lobbyistin der Migranten, vor allem denen aus der Islamistenszene“, schrieb  die Islamkritikerin Necla Kelek vor zwei Jahren in der Emma. Ihre Brüder agieren seit Jahren im islamistischen Milieu, wenngleich Özoguz sich öffentlich von ihnen distanzierte.

Andere schlagen thematisch in eine ähnliche Kerbe: Raed Salah etwa, SPD-Fraktionschef in Berlin, pocht seit Jahren auf einen sogenannten Staatsvertrag mit muslimischen Verbänden. Das führte sogar zum Parteiaustritt seines muslimischen Parteigenossen Erol Özkaraca. „Als liberaler Muslim bestehe ich auf einer strikten Trennung von Staat und Kirche – während Saleh sogar das Berliner Neutralitätsgesetz in Frage stellt, welches Lehrern das Tragen deutlich sichtbarer religiöser Symbole, wie zum Beispiel das Kopftuch, verbietet“, begründete Özkaraca seinen Austritt im Cicero.

Auch über die Grenzen der muslimischen Abgeordneten hinaus gibt es junge, aufstrebende Politiker, die knallharte Klientelpolitik betreiben und dabei von vielen Medien hofiert werden. Bei der 27jährigen Aminata Touré, Abgeordnete der Grünen in Schleswig-Holstein, geht es in fast jeder öffentlichen Äußerung um dieselben Schlagwörter: Diskriminierung, Teilhabe, Rassismus, Rechtsextremismus. Auch die Hautfarbe spielt für sie eine Rolle: „Alle Parteien und auch die Grünen sind zu weiß, genau wie die Medienlandschaft“, beklagte sie sich in der taz. Aus der knapp 40jährigen kolonialen Vergangenheit des deutschen Kaiserreichs speise sich „viel Rassismus“ der heutigen Zeit. 

BIG-Partei kam im Stadtteil Marxloh auf 10,3 Prozent

Schuld an allem Übel hat bei ihr stets die deutsche Mehrheitsgesellschaft. Das wird schon bei Tourés zugrundegelegtem Politikverständnis deutlich: „Ich bin unter anderem in die Politik gegangen, weil ich es nicht begreifen konnte, daß meine Eltern, die beide studiert haben, nur Helfertätigkeiten machen konnten.“ 

Gleichzeitig widerspricht die eigene Karriere ihrem Narrativ. Denn ihre berufliche Qualifikation – ein Bachelor der Politikwissenschaft und eine dreijährige Tätigkeit als Mitarbeiterin der grünen Bundestagsabgeordneten Luise Amtsberg – dürfte nicht der ausschlaggebende Punkt gewesen sein, weshalb sie zur jüngsten Vizepräsidentin eines deutschen Landtages in der Geschichte der Bundesrepublik gewählt wurde. 

Zwangsläufig kommt im Zuge dieser Betrachtungen die Frage auf, welche Auswirkungen die demographischen Veränderungen auf das Parteiensystem haben könnten. Gerade Deutsch-Türken wählen deutlich überproportional zum restlichen Teil der Bevölkerung linke Parteien – und das, obwohl ihre familiären Strukturen häufig konservativ ausgerichtet sind. Daß eine „ethnische Wahl“, also die Ausrichtung der Wahlentscheidung auf Vorteile für die eigene kulturelle Gruppe, keine rechte Verschwörungstheorie ist, beweist ein Blick über Deutschland hinaus. 

Erst vor zwei Wochen erschien in der New York Times ein Artikel, der ausführlich beschrieb, wie sich einstmals republikanische US-Bundesstaaten allein durch Einwanderung in einen von der Demokratischen Partei dominierten Bundesstaat wandelten: „Während politische Anführer kommen und gehen, ist die tiefere, viel nachhaltigere Kraft, die hier wirkt, die Demographie“, schrieb das Blatt. In der niederländischen Hafenstadt Rotterdam, wo 2009 erstmals ein Einwanderer Bürgermeister einer europäischen Metropole wurde, hat der Anstieg des Zuwandereranteils – mittlerweile haben über die Hälfte der Stadtbevölkerung ausländische Wurzeln – dafür gesorgt, daß Parteien an Zulauf gewinnen, die auf Identität setzen. Zum einen ist dies die Partei für die Freiheit von Geert Wilders, zum anderen die Denk-Bewegung, die sich an muslimische Einwanderer richtet.

In Deutschland spielen derartige Parteien derzeit keine Rolle, Migranten zieht es zu den etablierten Parteien. Interessant werden könnte die Entwicklung des 2010 gegründeten Bündnisses für Innovation und Gerechtigkeit (BIG). Bei der Europawahl 2019 erreichte die Islampartei bundesweit nur 0,2 Prozent, in Duisburg-Marxloh, wo der Ausländeranteil rund 56,1 Prozent beträgt, aber immerhin 10,29 Prozent. Eine weitere muslimisch-türkische Partei ist die Allianz Deutscher Demokraten. Bei der Bundestagswahl 2017 holte sie 0,1 Prozent der Stimmen, in NRW 0,4 Prozent. Gleichzeitig wählten hier 12 Prozent der Deutsch-Türken die Erdogan nahestehende Partei – ein Blick in die Zukunft?