© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 49/19 / 29. November 2019

Meinungsfreiheit in Gefahr
Frankreich: Hundert Intellektuelle sorgen sich um Lehrfreiheit an den Universitäten
Friedrich-Thorsten Müller

Mit einem öffentlichen Appell in der Zeitung Le Figaro haben über 100 französische Intellektuelle auf die zunehmende – vor allem linke – Gewalt gegen mißliebige Veranstaltungen an Universitäten reagiert. Vorangegangen war eine ganze Reihe von Veranstaltungsabsagen durch Rektoren, die allesamt damit begründet wurden, daß die jeweilige Hochschule die Sicherheit der Veranstaltung und ihrer Teilnehmer nicht gewährleisten könne.

Die Serie begann im Januar, als an der Universität von Lille in Nordfrankreich eine Konferenz für den ländlichen Raum abgesagt werden mußte. Ihr Initiator, der bürgerliche Abgeordnete Jean Lassalle, der auch ein Unterstützer der Gelbwesten-Bewegung ist, wurde bezichtigt, ein „Sexist“ zu sein. Feministische Hochschulgruppen und die Dachgewerkschaft SUD forderten daher mit Erfolg die Absage der Veranstaltung. Im März folgte an der renommierten Universität Sorbonne die Absetzung des altgriechischen Theaterstücks „Die Schutzflehenden“ von Aischylos. Diesmal war der Grund, daß der Regisseur Schauspieler „schwarz geschminkt“ habe, was antirassistische Organisationen zu lautstarken „Anti-Blackfacing“-Protesten veranlaßte. Einen Monat später entging der jüdische Philosoph Alain Finkielkraut mit knapper Not einer Veranstaltungsabsage an der Elite-Kaderschmiede „Sciences Po“. 

„Man muß dem Druck standhalten“

Im Oktober folgte dann die Annullierung eines Vortrags an der Universität Paris-I mit dem islamkritischen Autor und Journalisten Mohamed Sifaoui, der über das Thema „Signale der Radikalisierung“ referieren wollte. Diesmal kam der Druck von islamischen Verbänden, die in dem Vortrag eine „Stigmatisierung des Islam“ erkennen wollten. 

Der vorläufige Höhepunkt war Ende Oktober die Absage einer Debatte zum Thema Künstliche Befruchtung mit der Philosophin Sylviane Agacinski an der Uni Bordeaux Montaigne. Radikale Feministinnen und LGBTI-Verbände drohten diesmal sogar mit Gewalt, sollte die Veranstaltung  stattfinden. Immerhin kündigte die Rektorin, Hélène Velasco-Graciet, nach der Absage an, die Veranstaltung nachholen zu wollen. 

Aber auch andere Hochschulrektoren bemühen sich durch das nun aufkommende öffentliche Interesse an der Lehr- und Meinungsfreiheit um Schadensbegrenzung und Rufrettung. Denn die französische Öffentlichkeit hat sich bisher viel auf die „Werte der Republik“ eingebildet und sah solche Vorkommnisse eher als ein Problem amerikanischer, britischer oder begrenzt auch deutscher Hochschulen an. Alain Tallon, Dekan der Philosophischen Fakultät der Sorbonne, beeilte sich inzwischen klarzustellen, daß er niemals akzeptieren würde, wenn „eine Vorführung, eine Vorlesung oder eine Konferenz unter Drohungen abgesagt“ werde. Auch die Aufführung des Theaterstücks „Die Schutzflehenden“ sei inzwischen nachgeholt worden, wenn auch an einem weniger vorteilhaften Ort. „Man muß dem Druck standhalten, sofern er illegitim ist und die Meinungsfreiheit angreift“, ergänzt der Rektor der Universität Paris 1 Panthéon-Sorbonne, Georges Haddad.