© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 49/19 / 29. November 2019

„Mehr Grundrechte für Afrikaner“
EU: Das EU-Parlament fordert mehr Engagement gegen die „grassierende Afrophobie in Europa“ / Neue EU-Kommission unter Druck
Christian Schreiber

Eher still und heimlich verabschiedete das EU-Parlament am 26. März 2019 mit großer Mehrheit von 535 zu 80 Stimmen (bei 40 Enthaltungen) eine Entschließung zu den „Grundrechten von Menschen afrikanischer Abstammung in Europa“. Die halbstündige Aussprache vorher fand (wie so häufig) vor leeren Rängen statt. 

Dabei lobte die italienische Abgeordnete Cécile Kashetu Kyenge (Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament) das gute Klima im Ausschuß für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres, der unter Führung des Briten Claude Moraes (Labour Party) den Entschließungsantrag eingebracht hatte. Sozialdemokraten, Liberale, Grüne und Konservative hätten hervorragend zusammengearbeitet.  

Lediglich der Pole Dobromir Sosnierz, EU-Abgeordneter der ultranationalistischen Konföderation unter Janusz Korwin-Mikke, und der Bulgare Angel Dschambaski (IMRO – Bulgarische Nationale Bewegung) widersprachen. „Hier sagen doch alle das gleiche“, kritisierte Sosnierz. „Ich weiß nicht, woher sie die Daten haben. Worauf stützen sich ihre Tatsachenbehauptungen. Was sind das für Debatten, die hier laufen?“ Dschambaski kam zu dem Schluß, daß die Frage der Menschen mit afrikanischer Abstammung eine Frage des afrikanischen Kontinents sei. Das EU-Parlament sollte sich lieber um die „eigenen Bürgerinnen und Bürger kümmern“, so das Fazit des Bulgaren. 

Strafverfolgungsbehörden sollen sich zurückhalten

Die Entschließung hat es in sich: So werden nicht nur Strategien gefordert, um Afrikaner „auf sicheren und legalen Wegen in die EU einreisen“ zu lassen. Es werden auch zahlreiche Bildungs- und Förder-Maßnahmen von den EU-Mitgliedsstaaten verlangt. Eine Grundsatzaussage lautet: „Menschen afrikanischer Abstammung haben im Laufe der Geschichte erheblich zum Aufbau der europäischen Gesellschaft beigetragen.“

Die  verabschiedete EU-Resolution fordert die „Mitgliedstaaten und EU-Organe zudem auf, anzuerkennen, daMenschen afrikanischer Abstammung besonders stark Rassismus, Diskriminierung und Fremdenfeindlichkeit ausgesetzt sind und ihre Menschen- und Grundrechte im allgemeinen nicht im gleichen Maße wahrnehmen können, was strukturellem Rassismus gleichkomme, und daß sie als Einzelpersonen und auch als Gruppe Anspruch auf Schutz vor diesen Ungleichheiten haben, einschließlich positiver Maßnahmen zur Förderung ihrer Rechte sowie zur Gewährleistung der uneingeschränkten und gleichberechtigten Wahrnehmung.“ 

Welche genauen Auswirkungen dies haben könnte, ist derzeit noch unklar. Auf eine Anfrage der AfD im Bundestag teilte die Bundesregierung mit, daß die Rechtsgrundlage für die Aufnahme der Afrikaner und ihre Neuansiedlung in Deutschland der Paragraph 23 Abs. 4 des Aufenthaltsgesetzes sei. Er besagt: „Das Bundesministerium des Innern kann im Rahmen der Neuansiedlung von Schutzsuchenden im Benehmen mit den obersten Landesbehörden anordnen, daß das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) bestimmten, für eine Neuansiedlung ausgewählten Schutzsuchenden (Resettlement-Flüchtlinge) eine Aufnahmezusage erteilt.  Ein bisher nötiger Nachweis einer politischen Verfolgung wäre demnach nicht nötig. 

Die Vorarbeiten für diese Resolution leistete die Europäische Agentur für Grundrechte (FRA; siehe Info-Kasten). Rund ein Drittel der Schwarzen in Europa seien in den vergangenen Jahren rassistisch beleidigt worden, heißt es dort. Wie die Behörde weiter mitteilte, wurden zudem fünf Prozent der rund 6.000 Befragten in den vergangenen Jahren Opfer rassistisch motivierter Gewalt. Die wenigsten der Opfer meldeten sich aber demnach anschließend bei einer Organisation oder zeigten die Taten an – unter anderem, weil sie der Polizei „nicht vertrauten oder Angst vor ihr“ hatten. Europa dürfe nicht nur die eigenen Interessen im Auge behalten, sondern müsse über den Tellerrand schauen. 

Daher werden die Mitgliedstaaten aufgefordert, die Geschichte der Menschen afrikanischer Abstammung – einschließlich „vergangener und andauernder Ungerechtigkeiten und Verbrechen gegen die Menschlichkeit wie Sklaverei oder Ungerechtigkeiten und Verbrechen, die im Rahmen des europäischen Kolonialismus begangen wurden“, endlich anzuerkennen. Auch die „gewaltigen Errungenschaften und positiven Beiträge von Menschen afrikanischer Abstammung“ müßten in Europa offiziell anerkannt werden. Dazu soll nach Intention des EU-Parlaments ein „Internationaler Tag des Gedenkens an die Opfer der Sklaverei und des transatlantischen Sklavenhandels“ eingeführt werden. 

Ein weiterer Punkt betont die „wichtige Rolle zivilgesellschaftlicher Organisationen bei der Bekämpfung von Rassismus und Diskriminierung“. Eine stärkere finanzielle Unterstützung von Basisorganisationen auf europäischer, nationaler und lokaler Ebene müsse gesichert sein, so die Entschließung. 

Auch die Strafverfolgungsbehörden sollen künftig Rücksicht auf die Befindlichkeiten afrikanischer Einwanderer nehmen. Die Resolution fordert die Mitgliedstaaten auf, die Erstellung von Profilen auf der Grundlage der Rasse oder der ethnischen Zugehörigkeit in allen Formen der Strafverfolgung, der Terrorismusbekämpfung und der Einwanderungskontrolle zu beenden. Außerdem wurde der Beschluß gefaßt, daß „unter Berücksichtigung der bestehenden Rechtsvorschriften und Verfahren dafür zu sorgen ist, daß Migranten, Flüchtlinge und Asylbewerber auf sicherem und legalem Wege in die EU einreisen können“, eine Zusammenarbeit mit Organisationen, die anfällig für Schlepperei und Menschenhandel seien, solle dabei unbedingt verhindert werden.

Mehr Finanzmittel für Schutz von Afrikanern

Auch Forderungen, die den Bildungsbereich betreffen, finden sich in dem Katalog, und diese haben es in sich. So sind die Mitgliedstaaten gehalten, sicherzustellen, daß Erwachsene und Kinder afrikanischer Abstammung „gleichberechtigten Zugang zu hochwertiger Bildung und Betreuung ohne Diskriminierung und Segregation haben“ und falls erforderlich, „angemessene Maßnahmen zur Unterstützung des Lernens“ vorzusehen. Parallel dazu wird den Mitgliedstaaten nahegelegt, die Geschichte der Menschen afrikanischer Abstammung in die Lehrpläne aufzunehmen und eine umfassende Sicht auf die Themen Kolonialismus und Sklaverei zu bieten, wobei die „historischen und gegenwärtigen negativen Auswirkungen auf Menschen afrikanischer Abstammung anerkannt“ werden müßten.

Zudem soll dafür gesorgt werden, daß das Lehrpersonal für diese Aufgabe angemessen ausgebildet und ausgestattet ist, vor allem um der „Vielfalt im Klassenraum“ begegnen zu können. Auch sollen Initiativen für Menschen afrikanischer Abstammung in den Bereichen Beschäftigung, Unternehmertum und wirtschaftliche Emanzipation gefördert und unterstützt werden, damit den „überdurchschnittlich hohen Arbeitslosenquoten und der Diskriminierung von Menschen afrikanischer Abstammung auf dem Arbeitsmarkt entgegengewirkt“ werden könne. 

Auch auf dem Wohnungsmarkt sollen Antidiskriminierungsmaßnahmen greifen. Die Mitgliedstaaten seien gehalten, „gegen die Diskriminierung von Menschen afrikanischer Abstammung auf dem Wohnungsmarkt vorzugehen und die Ungleichheiten beim Zugang zu Wohnraum mit konkreten Maßnahmen anzugehen sowie für angemessene Wohnverhältnisse zu sorgen.“

Hintergrund dieser Forderungen ist die Auffassung der EU, viele der Probleme auf dem afrikanischen Kontinent seien das Ergebnis einer Geschichte des Kolonialismus, die in der EU nicht ordentlich aufgearbeitet worden sei. Die Kolonialarchive müßten geöffnet werden, „um zu gewährleisten, daß eine aufrichtige Konversation über die Verbrechen und Ungerechtigkeiten stattfinden kann, die von den westlichen Ländern in Afrika begangen worden sind“. 

Die Sozialdemokraten im EU-Parlament fordern gar noch weitere Maßnahmen. „Wir fordern die Einsetzung eines eigenen Teams mit einem besonderen Schwerpunkt auf Afrophobie-Fragen und mehr Finanzmittel für Programme, die sich auf Menschen afrikanischer Abstimmung konzentrieren“, heißt es in einer Erklärung, und ihr Sprecher Claude Moraes fügte hinzu: „Menschen afrikanischer Abstammung werden in ganz Europa regelmäßig belästigt und diskriminiert. Zu oft reagieren die Behörden viel zu schwach darauf und lassen die Täter mit einem blauen Auge davonkommen. Das ist inakzeptabel.“

Die Entschließung des EU-Parlaments deckt sich weitestgehend mit einem Forderungskatalog der Vereinten Nationen, die die Jahre 2015 bis 2024 „zur Internationalen Dekade für Menschen afrikanischer Herkunft“ ausgerufen haben. Der rot-rot-grüne Berliner Senat reagierte bereits entsprechend und hat kürzlich einen Maßnahmenplan verabschiedet. „Dabei orientiert sich der Senat an den Ergebnissen eines Konsultationsprozesses, der mit Vertreterinnen und Vertretern von Organisationen Schwarzer Menschen in Berlin 2018 stattgefunden hat. Hierbei wurden Kriterien und Anforderungen formuliert, um die Diskriminierung von Schwarzen Menschen zu erfassen und besser sichtbar zu machen. Es wurden Empfehlungen zur Verbesserung der Situation von Menschen afrikanischer Herkunft in Berlin entwickelt“, heißt es in einer Mitteilung, und der zuständige Senator Dirk Behrendt (Die Grünen) betonte: „Der Konsultationsprozeß mit Selbstorganisationen hat einmal mehr gezeigt, daß Menschen afrikanischer Herkunft in vielen Bereichen des alltäglichen Lebens diskriminiert werden.“ Dies betreffe zum Beispiel die Bildung oder auch den Zugang zum Arbeitsmarkt. Um die „Diskriminierung bekämpfen zu können, müsse sie in einem ersten Schritt sichtbar gemacht werden. Darüber hinaus sollten „geeignete Maßnahmen“ entwickelt werden, um dieser „Diskriminierung“ entgegentreten zu können, so der Grüne abschließend. 

EU-Kommission lobt EU-Parlament 

Von der breiten Öffentlichkeit in Deutschland ist die Resolution bisher weitgehend unbeachtet geblieben. Lediglich einige AfD-Vertreter meldeten sich zu Wort. Die Bundestagsabgeordnete Nicole Höchst aus Rheinland-Pfalz stößt sich vor allem an den Forderungen im Bildungsbereich: „Diese bedeuten im Umkehrschluß, daß man sie künftig besonders fördern muß, um Chancengleichheit zu erreichen. Alle, die Lehrer sind, dürften nachvollziehen können, was das für den Unterricht und das Bildungsniveau bedeutet. Sie können sich die erwartete Entwicklung in den Schulen lebhaft vorstellen“, teilte sie mit. 

Demgegenüber geradezu euphorisch fielen die Reaktionen einwanderungsfreundlicher Lobby-Gruppen aus. Daniel Gyamerah, Vorstand des Berliner Vereins „Each One Teach One“, erklärte: „Das ist eine historische Entscheidung des Europäischen Parlaments. Jetzt müssen die Bundesregierung und die Bundesländer endlich strukturellen Rassismus gegenüber Menschen afrikanischer Herkunft bekämpfen. Es braucht dringend Aktionspläne mit konkreten Maßnahmen zum Empowerment von Menschen afrikanischer Herkunft.“  Die Organisation erklärte weiter, daß die Resolution überfällig gewesen sei, doch jetzt sei der Moment gekommen, endlich Schwarze Menschen gezielt zu fördern“. Die Entschließung sei ein Meilenstein für „rund 15 Millionen Menschen afrikanischer Abstammung innerhalb der EU“. 

Auch der lettische EU-Kommissar Valdis Dombrovkis (EVP) lobte im März die Stoßrichtung der Entschließung. Die Bekämpfung von Afrophobie und Diskriminierung habe in der Kommission „klare Priorität“. Dombrovskis erwähnte die von der EU-Kommission geleitete „Hochrangige Gruppe“, die die EU und deren Mitgliedstaaten bei der Festlegung wirksamer politischer Maßnahmen zur Verhütung und Bekämpfung von Afrophobie,  Haßverbrechen und Haßreden unterstützt. 

Dies war dem tschechischen Abgeordneten Jirí Pospíšil (EVP) noch zu wenig. Gerade die nächste EU-Kommission müsse entschlossener gegen Rassismus und die Diskriminierung von Menschen afrikanischer Herkunft in den EU-Staaten vorgehen, so der Tscheche.





Europäische Agentur für Grundrechte

Kaum einer kennt die Europäische Agentur für Grundrechte (FRA), die die Entschließung „Grundrechte von Menschen afrikanischer Abstammung“ mit Material versorgte. Gerade hat sie einen zweiten Bericht  „Als Schwarzer in der EU vorgelegt“ , der erneut zu dem Ergebnis kommt, daß „Menschen afrikanischer Abstammung in der EU auch fast 20  Jahre nach dem Erlaß von EU-Rechtsvorschriften zum Verbot von Diskriminierung noch auf ausgeprägte und tiefsitzende Vorurteile und Ausgrenzung stoßen“ würden. Dazu seien 6.000 Menschen afrikanischer Abstammung in zwölf EU-Mitgliedstaaten befragt worden. Befragungen wurden bis dato zu den Themen „Diskriminierung und Viktimisierung von Zuwanderern und ethnischen Minderheiten“, „Geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen“, „Haßkriminalität und Diskriminierung gegenüber Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender-Personen“, „Diskriminierung von Roma“ und  „Antisemitismus“ durchgeführt. Die 2007 ins Leben gerufene EU-Agentur verfügt über ein Jahresbudget von 22 Millionen Euro. 105 feste Mitarbeiter arbeiten in dem repräsentativen Gebäude am Wiener Schwarzenbergplatz.