© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 49/19 / 29. November 2019

Thalers Streifzüge
Thorsten Thaler

Am Montag dieser Woche war ich zweimal nah am Wasser gebaut. Wenn etwas so berührt, darf das auch schon mal ein verstohlenes Tränchen wert sein. Anlaß war der Auftritt von Cecilia Bartoli in der bis auf den letzten Platz besetzten Berliner Philharmonie. Die italienische Mezzosopranistin präsentierte ihr neues Programm „Farinelli und seine Epoche“ mit Arien aus dem 17. und 18. Jahrhundert des schon von seinen Zeitgenossen bis hin zu Fürsten und Königen  hochgerühmten Kastraten Carlo Broschi, genannt Farinelli. Begleitet wurde sie von dem erst im Frühjahr 2016 auf Initiative Cecilia Bartolis gegründeten Barockensemble „Les Musiciens du Prince-Monaco“ unter der Leitung von Gianluca Capuano. Die Weltpremiere fand zwei Tage vorher im ebenfalls ausverkauften Festspielhaus Baden-Baden statt und wurde zum„ triumphalen, umjubelten Siegeszug“ (Pforzheimer Zeitung). Parallel zu ihrem Konzertprogramm erscheint dieser Tage ihre Solo-CD „Farinelli“.


Der Abend in Berlin beginnt mit Georg Friedrich Händel, es folgen Arien von Nicola Porpora, Geminiano Giacomelli und Johann Adolf Hasse. Nach der Pause stehen Johann Joachim Quantz, Leonardo Leo, Leonardo Vinci, Antonio Caldara und erneut Händel auf dem Programm. Liebe und Liebesleid, Trauer und Freude, Zorn, Verzweiflung und Hoffnung – mühelos vermittelt die Bartoli mit ihrem Stimmumfang von etwa zweieinhalb Oktaven alle erdenklichen Gemütszustände, ihre Ausdruckskraft ist phänomenal. Mögen die Koloraturen der heute 53jährigen Römerin auch nicht mehr ganz so strahlend perlen, ihre Magie wirkt überwältigend. Cecilia Bartoli berührt bis ins Mark. Sie besitzt die ungebrochene Fähigkeit, ihr Publikum in einen Zustand musikalischer Verzückung zu versetzen.


Endgültig alle Dämme brechen, als Cecilia Bartoli als erste Zugabe die Arie „Lascia la Spina“ aus Händels Oratorium „Il trionfo del Tempo e del disinganno“ singt.„Laß mich weinen“ droht hier als buchstäbliche Aufforderung genommen zu werden; ich kämpfe mit den Tränen, während die Bartoli bittet: „Lasse die Dornen/Pflücke die Rose;/ Du bist auf der Suche/ Nach deinem Schmerz.“


Am heutigen Freitrag tritt Cecilia Bartoli im Kurhaus Wiesbaden auf, im Juni kommenden Jahres ist sie in der Hamburger Elbphilharmonie zu hören. Karten dafür dürfte es, wenn überhaupt, nur noch mit einer gehörigen Portion Glück geben. Infos im Netz unter www.ceciliabartoli.com.