© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 49/19 / 29. November 2019

Die Euphorie ist der Ernüchterung gewichen
Stasi-Vergangenheit: Verlagseigentümer Holger Friedrich wird zum Problem für die „Berliner Zeitung“
Paul Leonhard

Berliner Ehepaar kauft Berliner Verlag – das war die spannende Nachricht, die im September die Öffentlichkeit erreichte. Und da Neu-Verleger Silke und Holger Friedrich in der DDR aufgewachsen sind, wußte die taz das Ereignis als erste einzuschätzen: „Zonengabis Rache“.

Allerdings sieht diese „Rache“ anders aus, als es sich die linke Tageszeitung ausgemalt hat. Seit Mitte November muß die Berliner Zeitung, die sich als ehemalige SED-Bezirkszeitung inzwischen das Image der „aufgeklärten Hauptstadtzeitung“ verpaßt hat, einen Fall im eigenen Unternehmen recherchieren: die Stasi-Vergangenheit des neuen Verlagseigentümers Holger Friedrich (JF 48/19).

Die Geschichte des 1966 in Ost-Berlin geborenen Friedrich, der es aus eigener Kraft als IT-Unternehmer zum Multimillionär gebracht hat und sich ausgerechnet im dreißigsten Jahr der friedlichen Revolution zwei heruntergewirtschaftete Hauptstadtzeitungen schenkt, um diese fit für die Zukunft zu machen, hätte die Geschichte des Jahres werden können. Und sie ist es geworden, wenn auch in negativer Weise.

Zweifel an  Friedrichs Darstellung

In der ersten Verlegerwoche verschwieg ein von Friedrich angeregter positiver Artikel über die Biotechfirma Centogene, daß er selbst 3,27 Prozent der Anteile hält und im Aufsichtsrat sitzt – den Posten läßt er mittlerweile ruhen. Daß Friedrich sein merkwürdiges Manifest „Berliner Botschaft“ und ein zweiseitiges Loblied auf den wegen Totschlags an der DDR-Grenze zu einer Haftstrafe verurteilten letzten SED-Generalsekretär Egon Krenz abdrucken ließ, hinterließ ebenfalls einen schalen Beigeschmack, war aber wenigstens nicht als redaktioneller Beitrag gekennzeichnet.

Von ganz anderem Kaliber ist die Meldung, daß zum Berliner Verlag nicht nur Berliner Zeitung und Berliner Kurier gehören, sondern mehrheitlich auch die zentrale Internetplattform berlin.de, der „eigentliche Schatz“ beim Erwerb des Verlags, wie Friedrich in einem Interview mit der NZZ stolz betonte.

Unternehmerisch ist diese öffentlich-private Partnerschaft mit dem Land Berlin, das über die Investitionsbank Berlin 25,2 Prozent der Anteile hält, geradezu genial. Verschafft sie dem Verlag doch riesige Datenmengen von Berlinern, die die Möglichkeit digitaler Behördengänge nutzen. Trotz aller Datenschutzregeln eine Goldader des digitalen Zeitalters.

Daß auf diesem Portal „zwangsläufig alle Berliner landen müssen“ und bezüglich Meldedaten, Bonität und Vorstrafenregister „durchgecheckt werden“ – wie dem Tagesspiegel böse aufstieß –, scheint selbst dem Senat nicht mehr ganz geheuer zu sein. Denn nach Aussage von Sabine Smentek, Staatssekretärin für Informations- und Kommunikationstechnologie in der Berliner Senatsverwaltung, wurde der Vertrag bereits 2018 gekündigt. Er endet allerdings erst im Dezember 2021, ausreichend Zeit also für den Verleger, seine Goldquelle zu nutzen. Smentek versichert dagegen, man sei „weit davon entfernt, einem privaten Unternehmen tiefere Einblicke in die sensiblen Daten“ der Berliner zu geben.

Ob die beiden Druckzeitungen auch ohne sprudelnde Geldquellen im Digitalen funktionieren, erscheint Branchenkennern zweifelhaft. Die Vertragskündigung durch Berlin stelle das „Geschäftsmodell komplett infrage“, ist die FAZ überzeugt und titelte „Verleger Friedrich hat sich verspekuliert“.

Die NZZ bescheinigt Friedrich, für den Europa wegen der Toten an der Außengrenze ein noch größerer Unrechtsstaat als die DDR ist, ein „krudes Weltbild“. Mit seinem Krenz-Lobgesang habe er „publizistisches Harakiri“ begangen. Bleibt der Verdacht, daß dies keine Unachtsamkeit ist, sondern „womöglich ein Vorgeschmack auf die künftige Ausrichtung des Verlages“.

Zudem widerspricht der frühere Direktor der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, Hubertus Knabe, der Darstellung Friedrichs, er sei mit dem Vorwurf der Fahnen- und Republikflucht unter Druck gesetzt worden. In der Akte „liest sich das deutlich anders“, betont Knabe im Focus. „Von Republikflucht oder gar einem bewaffneten Grenzdurchbruch ist nirgendwo die Rede. Die Stasi leitete auch nicht wie sonst ein Ermittlungsverfahren ein.“ Eine Verhaftung werde in den Unterlagen ebenfalls nicht erwähnt.

Mit seiner Biographie hätte Friedrich weder im öffentlichen Dienst noch in den Medienhäusern eine Anstellung gefunden. Doch jetzt hat er sich Zeitungen gekauft und publiziert dort seine Sicht auf die Welt. Ob die geplanten Notfallmaßnahmen der Beschäftigten beim Berliner Verlag, ein Redaktionsbeirat und -statut, tatsächlich die journalistische Unabhängigkeit sichern können, erscheint zweifelhaft. Aus der Belegschaft hört man, daß die Euphorie beim Neustart unter den neuen Eigentümern mittlerweile Ernüchterung gewichen ist. Allerdings dürfte Friedrich im roten Berlin auf genug Gleichgesinnte stoßen. Der Herausgeber der Berliner Zeitung, Michael Maier, glaubt noch an den einstigen Plan der neunziger Jahre, aus der Zeitung eine „deutsche Washington Post“ zu machen. Das „unterbrochene Projekt“ könne man „heute fortsetzen“, sagt er sich im Interview mit dem Standard.