© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 49/19 / 29. November 2019

Politische Legitimität und die Angst der Deutschen
Repression statt Lösung
Johannes Eisleben

Alle politischen Systeme sind Machtsysteme, in denen eine elitäre Minderheit Macht über die Mehrheit ausübt. Dies gilt auch für unser politisches System, obgleich es nach dem Zweiten Weltkrieg mehrere Jahrzehnte lang ein mildes Machtsystem mit hoher Legitimitätsrate war.

Doch seit einiger Zeit nimmt in ihm die Angst zu. Dies erkennen wir auf beiden Seiten, sowohl bei den machtausübenden Eliten als auch bei den Herrschaftsobjekten, den Bürgern. Solche kollektiven Angstzustände treten auf, wenn die Legitimität eines Machtsystems nachläßt. Dies beschreibt Guglielmo Ferrero in seinem Klassiker „Pouvoir“ (Paris, 1942). Es kann ganz plötzlich geschehen, wie beim 18. Brumaire Napoleons, als dieser 1799 mit seinem Staatsstreich eine moderne Alleinherrschaft errichtete. Dann entsteht eine illegitime Pseudo-Ordnung, deren Herrscher sich fürchten, weil es ständig Widerstand gibt und Revolten drohen. Daher üben sie Repression, im schlimmsten Fall Staatsterror aus, um das Legitimitätsdefizit und den Widerstand durch Angst zu löschen. Die Bürger fürchten sich dann vor der Repression, aber auch davor, daß die illegitime Pseudo-Ordnung sich verfestigen könnte. Sie schwanken daher zwischen Widerstand und angstbedingter Unterwerfung.

Heute sehen wir eine schleichende Erosion der staatlichen Legitimität mit langsam ansteigendem Unwillen und Widerstand der Bürger, allmählichem Anstieg der Repression durch die Machtträger und stetigem Zuwachs an Angst auf beiden Seiten. Die Legitimität schwindet, weil der Staat aus Sicht vieler Bürger seine Kernaufgaben unzureichend oder nicht mehr erfüllt, sondern aktiv Schaden anrichtet – wie bei der Migrations- oder Wirtschaftspolitik.

Die Eliten haben Angst vor Machtverlust, denn sie merken, daß die Bürger mit ihrer Politik immer unzufriedener werden. Daher regt sich Widerstand, die Bürger wünschen sich eine fundamental andere Politik. Die Eliten reagieren darauf mit verschärfter Repression. Die Repression geht dabei nicht nur von politischen Amtsträgern der Legislative und Exekutive aus, sondern auch von Angehörigen der Judikative, von Beamten, Journalisten sowie Konzernmanagern und deren Dienstleistern, aber auch von staatlich geförderten NGO, also der Elite im weiteren Sinne. Wir sehen dies besonders offen in den Bereichen Meinungsfreiheit sowie finanzieller und regulatorischer Repression.

Die Wirtschaftspolitik ist von einem tiefen Trend zur Selbstzerstörung unserer Industrie- und Agrarproduktion durchdrungen, wie die Abwrackung der Atomindustrie und der geplante Ausstieg aus Kohle und Verbrennungsmotor zeigen.

Ein offensichtliches Beispiel für Repression ist das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG), das verbale Online-Straftaten verhindern soll. Obwohl sein repressiver Charakter nicht vollkommen eindeutig ist, ist folgendes klar erkennbar: Seine Initiatoren wollen mit Hilfe des Gesetzes freiheitliche Kritik an den vielfältigen Folgen der Vereinnahmung des Staates durch die etablierten Parteien und deren offener Interessenpolitik für eine winzige privilegierte Minderheit unterdrücken. Das soll aber nicht der Staat, sondern die Social-Media-Anbieter, allen voran deren Oligopolführer Facebook erledigen. Das Gesetz ist im engeren Sinne nicht wegen eines Widerspruchs zu Artikel 5 GG verfassungswidrig, da es nur strafbare Inhalte ahndet, sondern weil es eine hoheitliche Aufgabe der Judikative, die gerichtliche Rechtsgüterabwägung, an Private abgibt. Die Einschränkung der Meinungsfreiheit im Netz tritt dann gewissermaßen als erwünschte Nebenwirkung auf, sie wird vom Oligopol umgesetzt, um seine Werbeeinnahmen (bei Facebook im letzten Jahr ein Großteil der 55 Milliarden Dollar Umsatz) zu sichern.

Doch dieses Gesetz reicht den Macht­eliten nicht, weil sie trotzdem steigenden Widerstand spüren. Also soll es weiter verschärft werden: Erstens durch Ausweitung auf Online-Gaming-Plattformen, zweitens durch eine strafrechtliche Unterscheidung zwischen Beleidigungen in der digitalen und in der realen Welt, um Online-Taten härter zu bestrafen und drittens durch eine Meldepflicht der Plattform-Betreiber bei der Staatsanwaltschaft. Für die wirtschaftliche Sicherheit der Bürger viel bedeutender als die Meinungsrepression ist die massive finanzielle Repression, die von der EZB durchgeführt wird, um das heutige Finanzmodell zu erhalten.

Wir halten fest: Anstatt die politischen Ursachen des Legitimitätsverlusts zu beseitigen, wird die Repression also verschärft, um die eigene Angst vor dem Machtverlust zu bewältigen. Dadurch steigt aber auch die Angst der Bürger, wie wir nun sehen werden.

In einem Klima geringer und weiter schwindender Legitimität mit steigender Repression entwickeln die beherrschten Bürger Sorgen und Ängste. Die Gegenstände dieser Ängste ergeben sich aus den Bereichen politischen Handelns, die auch den Legitimitätsverlust bewirken: derzeit am offensichtlichsten in der Migrations- und Wirtschaftspolitik. Politische Angst entsteht, wenn Menschen Veränderungen erleben, die das Vergemeinschaftungs- und Vergesellschaftungsmodell, das historisch tradiert wird, gefährden. Durch den massenhaften Zuzug und Aufenthalt von Menschen aus prä-modernen Kulturkreisen mit einer durchschnittlich geringen technischen Bildung und vollkommen anderen Normsystemen entsteht Angst.

Es ist die Angst des unteren Drittels der Bevölkerung vor unbezahlbarem Wohnraum wegen der das Angebot überschreitenden Nachfrage. Angst vor Konkurrenz am Arbeitsmarkt für Niedrigstqualifizierte. Angst der Menschen am unteren Rand vor Konkurrenz bei der Armenspeisung. Angst vor Verlust der Sicherheit im öffentlichen Raum angesichts einer sehr viel niedrigeren Gewaltschwelle beim durchschnittlichen Immigranten als bei Einheimischen.

Angst entsteht auch an einer anderen Stelle: Die Wirtschaftspolitik ist seltsamerweise von einem tiefen Trend zur Selbstzerstörung unserer Industrie- und Agrarproduktion durchdrungen, wie die Abwrackung der Atomindustrie, der geplante Kohleausstieg, die Zerstörung des Verbrennungsmotors, die Zersetzung des Einkommensmodells mittelständischer Bauern (JF 44/19) und die insgesamt technikfeindliche Politik zeigen. Für den normalen Bürger weniger sichtbar ist die Zerstörung der Finanzindustrie (Banken und Versicherungen), der durch die Eurorettungspolitik bereits die Basis vollständig entzogen wurde. Da neben der Kreditvergabe ihre wichtigste Aufgabe die Daseinsvorsorge ist, sind die Konsequenzen absehbar – aber noch nicht spürbar. Doch die Folgen der Wirtschaftspolitik spüren die Bürger bereits, sie haben daher Angst vor Arbeitsplatzverlust – und als Unternehmer Existenzängste.

Viele Bürger, die aufgrund politischer Umstände Angst empfinden, verdrängen sie und vermeiden in ihrem Alltag Situationen, die Angst hervorrufen. Das ist die Mehrheit der Menschen. Sie entziehen sich der Politisierung und warten ab.

Was ist die Konsequenz dieser durch die illegitime Politik verursachten Ängste? Es ist eine Pyramide von Verhaltensmustern mit steigendem Grad an Aktivität vom Vermeidungsverhalten bis zum Terror.

Viele, die aufgrund politischer Umstände Angst empfinden, verdrängen sie und vermeiden in ihrem Alltag Situationen, die Angst hervorrufen. Das ist die Mehrheit der Menschen. Ihre Aktivität besteht daraus, sich der Politisierung zu entziehen und abzuwarten. Die Eliten versuchen deren Anteil an der Bevölkerung durch Beruhigungsbotschaften und Jubelparolen zu maximieren; dies ist eine der Hauptstrategien Angela Merkels.

Auf der nächsten Stufe der Aktivitätspyramide folgen Menschen, die schweigen, aber an der Wahlurne protestieren und Parteien wählen, die eine Rückkehr zu legitimem politischen Handeln versprechen – in Deutschland derzeit vor allem die AfD. Ihnen begegnet das Establishment durch unablässige mediale Verleumdung und Angsteinflößung. Der AfD wird zusätzlich mit Verweigerung der rechtlich oder durch Gewohnheitsrecht garantierten Partizipationsrechte begegnet.

Auf der wiederum nächsten Stufe finden wir Widerstand durch friedliche Demonstration und kritische Publikationen. Dazu gehört auch friedlicher Aktivismus, wie ihn etwa die Identitäre Bewegung betreibt. Diesen Akteuren schlägt massivster Widerstand durch die staatsnahen oder staatseigenen Medien und die staatsgeförderten NGO sowie durch die establishmenttreue Justiz und Exekutivbehörden entgegen, weil seitens der Eliten große Angst vor dieser sehr legitimen Form des Protests besteht. Auf der vorletzten Stufe findet sich offensiver Widerstand in den Sozialen Netzwerken, der von Häme und Spott bis zu strafbaren Inhalten (Beleidigung, Volksverhetzung) führt. Gegen diese richtet sich das NetzDG und bei echten Straftaten auch das Strafrecht.

Auf der letzten Stufe finden wir links- und rechtsextreme sowie islamistische politische Gewalt bis hin zum Terrorismus, gegen die der Staat legitimerweise mit maximaler Repression vorgehen muß. Allerdings wissen wir nicht, in welchem Verhältnis die dafür zuständigen Dienste und Behörden ihre Mittel bezüglich der verschiedenen Spielarten des Extremismus allokieren.

Ändert sich unsere Situation, in der die Eliten das Legitimitätsdefizit nicht auflösen, sondern durch Repression weiter zu kaschieren versuchen, werden immer mehr Menschen von der Basis der Pyramide nach oben rücken, und die Repressions-Angst-Spirale wird sich immer schneller drehen. Hoffen wir, daß die Eliten bald aus diesem gefährlichen Mechanismus aussteigen. Denn wir Bürger können es alleine nicht.






Johannes Eisleben, Jahrgang 1971, ist Mathematiker und arbeitet als Systeminformatiker. Eisleben publiziert auf dem Portal achgut.com sowie in der Zeitschrift Tumult. Mit seiner Familie lebt er bei München. Auf dem Forum schrieb er zuletzt über den Verfall der Wissenschaftskultur („Es gibt kein Zurück“, JF 33/19).

Twitterprofil: @j_eisleben

Foto: Schatten des Bundesadlers: Die staatliche Legitimität verfällt schleichend, die Repression durch die Regierenden nimmt allmählich zu, und auf beiden Seiten wächst die Angst voreinander