© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 49/19 / 29. November 2019

Erregungskurven in einer verrückten Welt
Der Erfolgsautor Bret Easton Ellis über die vergifteten sozialen Medien, die linksliberalen US-Wutbürger und die Problematik mit der weißen Identität
Thorsten Hinz

Der Traum von den sozialen Medien als eine Schleuder, mit der David, der Underdog, den etablierten Goliath zu Boden zwingt, ist längst ausgeträumt. Sie sind ebenfalls zum Ort der Kontrolle, der Manipulation von oben und der Bespitzelung geworden.

Und ein Ort der Selbstbeschädigung, wie der amerikanische Bestsellerautor Bret Easton Ellis in seinem aktuellen Buch beschreibt. Ellis hatte sich ein Zeitlang in der Welt von Twitter bewegt, in der melancholischen Einsicht, daß Bücher, Romane, die Literatur, der kontemplative Diskurs für die Meinungsbildung keine Bedeutung mehr haben. Die Erfahrung im Netz, der ständige Wut- und Erregungsmodus, der hier vorherrschte, schockierte ihn und machte ihn zugleich süchtig. Ständig ärgerte er sich über andere, die das, was ihm wichtig war oder was er für harmlos hielt, ungeniert verhöhnten und zu zerstören versuchten. Bis er schließlich aufgab, „stumm vor Streß. Doch letzten Endes waren Schweigen und Unterwerfung genau das, was die Maschine wollte.“ Die neue Freiheit hat also nur dazu geführt, ihn um so nachdrücklicher „stillzulegen“.

Liberale und Linke agierten als reine „Wutmaschine“

Das Buch enthält acht Essays und eine Einführung. Es geht um Autobiographisches, um Gesellschafts- und Medienkritik, um Schilderungen aus dem US-Kulturbetrieb. Ellis, Jahrgang 1964, Verfasser des Kultbuchs „American Psycho“, ist ein in der Wolle gefärbter Liberaler, der sich vom liberalen Mainstream abgestoßen fühlt. Im Wahlkampf gegen Trump habe er sich „zu einer verzerrten, autoritären Bewegung der moralischen Überlegenheit (verhärtet), mit der ich nichts zu tun haben wollte“. Liberale und Linke seien heute eine reine „Wutmaschine“. Er macht sich lustig über die „theatralische Traumatisiertheit“, die prominente Trump-Gegner zur Schau stellen. Meryl Streep – eine wahrlich grandiose Schauspielerin –, die bei der Golden-Globe-Verleihung eine flammende Rede gegen den neuen Präsidenten hielt, bot zur gleichen Zeit ihr Haus für 30 Millionen Dollar zum Verkauf an.

Ellis sieht die USA in der „Post-Empire“-Ära, denn die Terroranschläge vom 11. September 2001 hätten die binär geordnete „Empire“-Welt in Stücke geschlagen: „Unsere Feinde sind dezentralisierte Rebellen, unsere Medien sind ebenfalls rebellisch und dezentralisiert.“ Ein günstiger Boden für den „Opferkult“, der unter Obamas Präsidentschaft „geradezu explodiert“ sei. Ein „kindischer Faschismus“ schnüffele nach angeblich unmoralischen, rassistischen, frauenfeindlichen Äußerungen, uralte Tweets würden zur Fundgrube für Denunziationen, Künstler wagten keine kreativen Risiken mehr einzugehen.

Natürlich reflektiert Ellis auch über seine Romane, insbesondere über „American Psycho“, in dem der junge WallStreet-Banker Patrick Bateman – reich, gutaussehend, Waschbrettbauch, Luxusappartment in New York, die perfekte Verkörperung des amerikanischen Traums – ein Doppelleben als brutaler Killer führt. Bateman hat die Werte des Systems ganz verinnerlicht, obwohl er weiß, daß sie falsch sind. Aus der totalen Entfremdung heraus begeht er furchtbare Morde, die ihm ein nichtentfremdetes, inneres Erleben verschaffen sollen. In Wahrheit ist er dem Irrsinn verfallen. 

Eine verrückte Disposition sieht Ellis auch in der pervertierten liberalen Gesellschaft. Der Titel des Buches „Weiß“ spielt auf die Identitätspolitik als einen wichtigen Beweger in der aktuellen Entwicklung an, denn, so Ellis, „wie Millionen weißer Männer wurde ich von einer bestimmten Fraktion immer häufiger daran erinnert, daß wir uns über unsere weiße Identität definieren sollten, weil gerade die das wahre Problem sei“. Als dialektische Gegenbewegung ist die „Alt-Right“-Bewegung aktiv und Trump ins Weiße Haus  gekommen, was ihm – Ellis – auch nicht recht ist. So endet das Buch in Ratlosigkeit: „Und schließlich verliert man ganz den Verstand, und damit auch seine Freiheit.“

Man beschließt die Lektüre mit der Erkenntnis, daß die allgemeine Verrücktheit nichts singulär Deutsches ist.

Bret Easton Ellis: Weiß. Verlag Kiepen-heuer & Witsch, Köln 2019, gebunden, 320 Seiten, 20 Euro