© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 49/19 / 29. November 2019

Knapp daneben
Ende eines Volkssports?
Karl Heinzen

Ob die Zuschauer ins Stadion kommen, hängt vor allem davon ab, ob wir sexy spielen oder nicht“, meint Joshua Kimmich, Mittelfeldmittelmaß einer neuen Generation von DFB-Auswahlspielern, die den Weltmeistern von 2014 nachgefolgt ist. Sollte dies zutreffen, ist es um die Qualität der deutschen Fußballnationalmannschaft schlecht bestellt. Wann immer sie zu einem Länderspiel antritt, sind die TV-Einschaltquoten zwar weiterhin höher als bei Talkshows über Klimawandel, Haß oder das Rennen um den SPD-Parteivorsitz. In den Arenen selbst jedoch, am eigentlichen Ort des Geschehens also, weisen die Zuschauerränge bei Heimpartien regelmäßig riesengroße Lücken auf. Auch die Stimmung läßt zu wünschen übrig. Der Besucher von heute trägt vielleicht noch einen schwarzrotgoldenen Kirmeshut und summt die Nationalhymne aus verfassungspatriotischer Disziplin mit. Ansonsten wirkt er aber eher unbeteiligt, meidet Anfeuerungsrufe, jubelt bloß dezent über Tore und läßt seinen Emotionen allenfalls durch Unmutspfiffe eines enttäuschten Verbrauchers freien Lauf, wenn die Leistung auf dem Feld mal wieder durchwachsen war und die Versager in die Kabine schlurfen.

Statistisch gesehen ist der nächste Gewinn einer Weltmeisterschaft erst wieder 2034 zu erwarten.

An Versuchen, den nachlassenden Zuspruch für „die Mannschaft“ zu erklären, ist kein Mangel. Die Spieler, so sagen die einen, seien als Werbeträger für kommerzielle Produkte und zivilgesellschaftliche Botschaften schon so omnipräsent, daß man sie nicht auch noch auf dem Rasen ertragen könne. Statistisch gesehen, meinen wiederum andere, sei der nächste Gewinn einer Weltmeisterschaft erst wieder 2034 zu erwarten. Bis dahin sollte man seine Emotionen lieber für anderes aufsparen.

Wahrscheinlich aber ist alles viel einfacher: Fußball ist seit mehr als 100 Jahren Volkssport, und irgendwann ist halt die Luft raus. Lange bot er den Menschen die Chance, das Bedürfnis nach Feindschaft auf halbwegs unblutige Weise auszuleben. Nun, da auch er plötzlich das Trennende unter ihnen überwinden soll, müssen sie sich dem Zwang zur Harmonie auf andere Weise entziehen. Niemand sollte befürchten, daß ihnen dies nicht gelingen könnte.