© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 49/19 / 29. November 2019

Der Flaneur
Lektion Sächsisch
Paul Leonhard

Hängt auf deutschen Bahnhöfen eine Karikatur, die einen kleinen Maulwurf zeigt, wird es meist ärgerlich für die Reisenden. Denn das stets Humor ausstrahlende Tierchen kündigt Bauarbeiten an und damit Verspätungen, Zugausfälle oder Schienenersatzverkehr, „een Guddlmuddl“ also.

Lärm sowieso, den der Bahnkonzern lieber umschreibt. „Früher war Baulärm Krach, heute ist er Zukunftsmusik“, steht auf einem großen Plakat an einer Sperrholzwand. Nach Monaten absoluter Ruhe musizieren dahinter seit einigen Wochen tatsächlich Bauarbeiter mit Preßlufthämmern und ähnlichem Werkzeug – und zwar planmäßig bis kommendes Jahr.

Die Bahn zeigt krampfhaft Humor und lauscht den Reisenden.

Dresdens Hauptbahnhof wird umgestaltet, damit bald alles „älidär und äxzälländ“ aussieht, was die Einheimischen so kommentieren: „S wird abor auch mal Zejd, daß de Middelhalle wieder ä bißl hübsch gemacht wird!“ So glaubt es zumindest die Marketingabteilung des Bahnhofbetreibers den Sachsen abgelauscht zu haben.

Die Bahn zeigt krampfhaft Humor. Und ist wohl stolz auf die Idee, den auf verspätete Züge wartenden Reisenden die Zeit mit einer Lektion Sächsisch verkürzen zu können: „Leggor Budderbemme“, „Daheeme is schoeen“, „Ä Schälchen Heeßn?“, „Gaffee is fertsch“. Mit diesen Grundkenntnissen läßt es sich bestimmt leichter in einem der nahen Schnellimbisse etwas bestellen.

Der Lautsprecher knarrt. Mit einem Hüsteln verkündet eine Stimme auf hochdeutsch, daß der Zug von Prag nach Basel heute 70 Minuten Verspätung habe. „S Läbn iss gee Bonnihof“, steht tröstend an der Baustellenwand.

Ein älteres Paar steht wartend neben seinen Koffern und Taschen. Beide bemühen sich, die Plakattexte zu entziffern. „Reden wir wirklich so?“ fragt die Frau nach einer Weile entgeistert ihren Mann. Der überlegt. „Ich gloob schon“, antwortet er dann nachdenklich, „aber wir schreiben es anders.“