© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 50/19 / 06. Dezember 2019

Gefangen zwischen Washington und Peking
Bolivien: Auch nach dem Ende des sozialistischen Präsidenten Evo Morales kommt das Land nicht zur Ruhe
Jörg Sobolewski

Eingedenk der vielen Todesopfer in den vergangenen Monaten hat sich nun auch das EU-Parlament eingeschaltet: man sehe die Situation mit Sorge und fordere alle Beteiligten auf, zügig Neuwahlen anzusetzen. Besonders der Ex-Präsident Evo Morales bekommt einen Rüffel, dieser „schüre von außen“ die Gewalt in seiner Heimat. Auch Präsident Wladimir Putin rief dazu auf, die Eskalation zu bremsen und erkannte flugs die Übergangspräsidentin Jeanine Áñez an.

Tatsächlich haben in Bolivien beide Seiten viel dazu beigetragen, keine Ruhe einkehren zu lassen. Die Übergangsregierung von Interimspräsidentin Áñez heizte mit dem Haftbefehl gegen einen weiteren ehemaligen Minister die Furcht bei den Parteigängern des gestürzten Morales an, selber als nächstes auf der Liste der Gesuchten zu stehen. Auch die schnelle Nominierung eines  Botschafters für die USA – erstmals seit elf Jahren – führte zu Irritationen.

Indigine Bevölkerung läßt Morales fallen

Dem bisher erfolglos gesuchten Präsidentenminister Jose Ramon Quintana wird neben Geldwäsche auch „Terrorismus und Finanzierung von Terrorismus“ vorgeworfen. In einer Region, in der die Definition von „Terrorismus“ meist von demjenigen abhängt, der gerade an der Regierung ist, führt ein darauf begründeter Haftbefehl meist eher zur Solidarisierung mit dem Betroffenen.

Tatsächlich ist die Situation vor Ort verworren. Das liegt vor allem an der Zusammensetzung des „Plurinationalen Staates Bolivien“, in dem Hunderte verschiedene Ethnien mit unterschiedlichen Interessen und Sprachen leben.

 Bisher waren die Indigenen Hauptstütze der Regierung Morales. Diese jedoch verschreckte durch ihre Industrialisierungspolitik viele traditionelle Verbündete. Durch neue Minenkonzessionen und die Liberalisierung des Agrarrechts kam es zu massiven Waldbränden in der Amazonasregion, ein Schlag ins Gesicht für die traditionell lebenden indianischen Ethnien.

Profitiert von der Wirtschaftspolitik in Bolivien hat hingegen neben der indianischen Arbeiterschicht vor allem China, dessen Regierung sich in der aktuellen Lage auffällig bedeckt hält. Tatsächlich weist aber viel darauf hin, daß Peking in Bolivien massiv investierte. Die neue Kameraüberwachung in der Hauptstadt La Paz etwa stammt  inklusive Gesichtserkennungssoftware aus chinesischer Produktion. Einzelne Oppositionelle hatten in der Vergangenheit einen „Ausverkauf an China“ kritisiert.

 Sollten sich die Befürchtungen bewahrheiten, daß hinter dem politischen Streit in Bolivien ein Konflikt zwischen den USA und China steht, könnten dem Armenhaus Südamerikas chaotische Wochen bevorstehen.