© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 50/19 / 06. Dezember 2019

Ready for take off!
Großbritannien: Kurz vor der Parlamentwahl eilt der konservative Premier der Konkurrenz davon / Nigel Farages Brexit-Party stürzt ab
Josef Hämmerling

Boris Johnsons’ Plan scheint aufzugehen: Wären jetzt Neuwahlen, würde der britische Premierminister den höchsten Wahlsieg seit der „Eisernen Lady“ Margaret Thatcher 1987 einfahren. Der jüngsten Umfrage des Wahlforschungsinstituts YouGov zufolge wollen 43 Prozent der britischen Wähler bei den Neuwahlen am 12. Dezember die Konservativen wählen. Damit kämen sie auf 359 der insgesamt 710 Sitze im Unterhaus, was die absolute Mehrheit und damit die Möglichkeit einer Alleinregierung bedeuten würde.

Labour droht eine Wahlschlappe

Bei den letzten Wahlen 2017 kamen die Torys zwar auch auf 42,4 Prozent der abgegebenen Stimmen, erhielten aufgrund des in Großbritannien herrschenden Mehrheitswahlrechts aber nur 318 Sitze. Der große Verlierer wäre die Labour-Partei, die von 40,3 auf 32 Prozent absacken würde und nur noch 211 Sitze hätte. Obwohl sich der Stimmenanteil der europafreundlichen Liberaldemokraten von 7,4 auf 14 Prozent erhöhen soll, bekämen sie mit 13 Sitzen nur einen Sitz mehr als vor zwei Jahren. Enttäuschend fiel die Umfrage für die Brexit-Partei von Nigel Farage aus. Sie würde nur drei Prozent der Stimmen erhalten und damit keinen Sitz im Unterhaus bekommen. Noch bei der Europawahl am 23. Mai dieses Jahres hatten sie 30,5 Prozent der Briten gewählt. 

Die Grünen verdoppeln YouGov zufolge ihren Stimmenanteil zwar fast von 1,6 auf 3,0 Prozent, hätten aber unverändert nur einen Sitz im Unterhaus. Die nordirische Democratic Unionist Party (DUP), die den Brexit-Kurs Boris Johnsons unterstützt, würde mit 18 Abgeordneten ins Parlament einziehen, nach nur zehn 2017. Zusammengerechnet kämen die Brexit-Befürworter somit auf 377 Abgeordnete und hätten damit eine komfortable Mehrheit von 22 Stimmen. 

Damit könnte das Vereinigte Königreich, wie von dem britischen Premierminister angekündigt, am 31. Januar 2020 aus der Europäischen Union austreten, wobei sogar ein sogenannter harter Brexit möglich wäre, sollte es zu keinen Zugeständnissen seitens der EU kommen. 

Hauptverantwortlich für die hohen Stimmenverluste der Sozialdemokraten sind YouGov zufolge die unklaren Positionen vor allem ihres Vorsitzenden Jeremy Corbyn zum Brexit, der gleichzeitig Nachverhandlungen mit der EU forderte, sich aber auch für ein neues Referendum aussprach. 

Außerdem werden immer wieder Antisemitismusvorwürfe gegen ihn und seine Partei laut. Der 70jährige räumte ein, daß Disziplinarverfahren gegen antisemitische Parteimitglieder zu langsam und zaghaft betrieben worden seien. Auch in der vergangenen Woche vorgestellte Pläne Corbyns wurden von großen Teilen der Briten skeptisch aufgenommen. 

Zwar versprach der Labour-Chef ein 83 Milliarden Pfund-Investitionsprogramm (rund 97 Milliarden Euro), doch soll dies unter anderem durch eine Erhöhung von Unternehmssteuern und durch eine Steuer für Reiche umgesetzt werden. Besonders die für die Wirtschaft des Landes wichtige britische Ölindustrie soll mit höheren Steuern belastet werden. 

Wahlkampf im Zeichen des Terrors  

Daneben soll es umfangreiche Verstaatlichungen geben, so zum Beispiel Teile des Telekomkonzerns BT sowie von Schienenverkehr, Wasserversorgung und Post. Corbyn sprach von einem „Wahlprogramm der Hoffnung“ und dem „radikalsten und ambitioniertesten Plan seit Jahrzehnten“. 

Auf die Umfragen wirkte sich dieses bislang aber nicht aus. Medienberichten zufolge dürfte ein derartiges, wie derzeit prognostiziertes Wahlergebnis gleichzeitig auch das Ende der politischen Karriere Corbyns sein.

Der Vorsitzende der Brexit-Partei, Nigel Farage, zeigt sich zwar enttäuscht von den Wahlumfragen, hat aber schon Pläne für die Zeit nach dem 14. Dezember: die Gründung einer neuen Partei, die den Namen Reform Party tragen könnte. „Daß wir die undemokratische EU verlassen, ist erst der Anfang“, sagt der 55jährige. Es sei Zeit für Veränderungen, um „unser kaputtes politisches System zu reparieren“. Das Parlament solle wieder für das Volk regieren. 

So will Farage auch das in Großbritannien bestehende einfache Mehrheitswahlrecht, das die kleineren Parteien benachteiligt, ändern – und stößt mit dieser Forderung auf große Zustimmung in der Bevölkerung. 

Eine der Hauptthemen der Brexit-Partei, aus der die Reform Party hervorgehen könnte, ist zudem die Einwanderungspolitik. So fordert Farage, daß die Netto-Einwanderung in Großbritannien auf 50.000 Menschen im Jahr reduziert werden soll. Sie lag 2018 bei knapp 260.000, davon fast 200.000 Einwanderer aus Nicht-EU-Ländern.

Weitere Stimmengewinne für die Konservativen könnte Medienberichten zufolge der terroristische Anschlag am vergangenen Freitag in London bringen. Der 28jährige wegen Terrorismus verurteilte Pakistaner Usam Khan, der vor einem Jahr frühzeitig aus  derHaft entlassen worden war, hatte am Freitag auf der London Bridge mit einem Messer zwei Passanten getötet und drei weitere schwer verletzt. 

2012 war Khan wegen Vorbereitung eines Anschlags einer zur al-Qaida gehörenden Terrorzelle zu 16 Jahren Haft verurteilt worden, nahm jetzt an einem Resozialisierungsprogramm teil und wurde deswegen auf Bewährung entlassen. Mehrere Passanten hatten den Islamisten nach einer Verfolgungsjagd überwinden können. 

Von herbeieilenden Polizisten wurde Khan, der sich heftig wehrte und eine Bombenattrappe am Körper trug, erschossen. Boris Johnson, der einen Wahlkampfauftritt unterbrach und sofort in die Downing Street zurückkehrte, erklärte am Freitag abend nach einem Krisentreffen seiner Regierung: „Dieses Land wird sich niemals durch diese Art von Angriffen verängstigen, teilen oder einschüchtern lassen. Unsere Werte, unsere britischen Werte werden siegen.“