© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 50/19 / 06. Dezember 2019

Ist die derzeitige Rentenbesteuerung verfassungswidrig?
Problem Systemwechsel
Dirk Meyer

Die deutschen Steuereinnahmen sind 2018 um 5,8 Prozent auf 714 Milliarden Euro gestiegen. 33 Milliarden Euro stammten aus der Einkommensteuer von Rentnern – Tendenz steigend. Deren Steuerpflicht setzt ein, wenn ihr Grundfreibetrag von 9.168 Euro überschritten wurde. Die Verfassungsmäßigkeit der seit 2005 geltenden Rentenbesteuerung ist aber strittig. 2002 hatte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) entschieden, daß die unterschiedliche Besteuerung der Beamtenpensionen und gesetzlichen Renten mit dem Gleichheitsgrundsatz unvereinbar sei.

Beitragszahlungen wurden daher entlastet, die Besteuerung auf die Rentenphase verlagert – wie bei den Pensionen. Aufgrund der Progression führt das zu einer Steuerentlastung. Das Problem war der Systemwechsel: Bei einer sofortigen Umstellung wäre es zu einer erheblichen Doppelbelastung für diejenigen gekommen, die 2005 in den Ruhestand wechselten. Sie hätten ihr Leben lang auf die Rentenbeiträge ihres Lohnes Steuern bezahlt, zugleich wären ihre ausgezahlten Renten voll zu versteuern gewesen. Das BVerfG hat dies ausdrücklich ausgeschlossen.

Deshalb hat der Gesetzgeber eine Übergangszone bis 2040 vorgesehen. Jeweils auf den Zeitpunkt des Renteneintritts bezogen wächst der steuerpflichtige Anteil von 2005 bis 2020 von 50 Prozent mit einem jährlichen Anstieg um zwei Prozentpunkte auf 80 Prozent. Danach pro Jahr um einen Prozentpunkt, bis 2040 volle 100 Prozent der Rente zu versteuern sind. Zugleich steigt der absetzbare Anteil der Altersvorsorgebeiträge von 60 Prozent (2005) um jährlich zwei Prozentpunkte auf 100 Prozent (2025). Konkret heißt das: Bei Neurentnern mit 1.500 Euro Bruttorente werden 430 Euro Einkommensteuer (ESt) jährlich fällig werden. 2010 waren es nur 79 Euro. Bei einer Rente von 1.200 Euro zahlt man erst ab diesem Jahr 31 Euro ESt. Egmont Kulosa, Vizevorsitzender des für Alterseinkünfte zuständigen Senats beim Bundesfinanzhof, hält diese Übergangsphase für zu kurz, um Doppelbesteuerungen zu vermeiden. So könnten Arbeitnehmer von 2025 an zwar alle Rentenbeiträge bis zum Höchstbetrag von etwa 25.000 Euro steuerfrei zahlen, müßten aber 15 Jahre später als Rentner ab 2040 ihre Rente voll versteuern. Leider beläßt er es bei diesem „Evidenzbeweis“. Die Bundesregierung sieht hingegen „praktisch keine verfassungswidrige Zweifachbesteuerung“.

Konkrete Beispiele wären da hilfreicher. Doch spätestens dann würde deutlich, daß von Fall zu Fall unterschiedliche Ergebnisse herauskommen. Einkommensverläufe, die Anrechnung beitragsloser Zeiten, Renteneintrittsjahr oder individuelle Besteuerungsmerkmale machen eine generelle Aussage unmöglich. Mathematik ist eben die Mühe, konkrete Ergebnisse in Zahlen zu ermitteln.






Prof. Dr. Dirk Meyer lehrt Ökonomie an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.