© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 50/19 / 06. Dezember 2019

Literarisch entschärfte und verzwergte Kapitalismuskritik
Ingo Schulzes halbherziger Themenwechsel
(dg)

Am Namen des 1962 in Dresden geborenen Schriftstellers Ingo Schulze klebt hartnäckig das Feuilletonetikett „Nachwendebewältiger“, und das obwohl die Kritik nie zugestehen wollte, daß der mit Literaturpreisen dekorierte Autor den ultimativen Wenderoman denn tatsächlich geschrieben hätte. Auch sein letztes Opus, der Roman „Peter Holtz. Sein glückliches Leben erzählt von ihm selbst“ (2017) erfüllte diese Erwartung nicht. Das Thema sei zwar wieder der Systembruch von 1989, vor dessen weiterem Hintergrund sich die Wandlung des Helden vom reinen sozialistischen zum naiven kapitalistischen, in der Psychiatrie endenden Toren vollzieht, aber nicht ausschließlich, betont der Literaturwissenschaftler Stephan Pabst. Dieser umfangreiche Text sei viel eher als ein 89er ein 98er Roman. Denn mit der 1998 ins Amt gewählten rot-grünen Bundesregierung und ihrer Agenda 2010, die den „sozial-liberalen Konsens“ der alten BRD aufgekündigt und die Berliner Republik „an den neoliberalen Konsens Europas“ angeschlossen habe, erregte die nach dem Untergang des Sowjetimperiums fast abgestorbene Kapitalismuskritik wieder größere Aufmerksamkeit. Ihr wandte sich auch Schulze zu. Publizistisch etwa in Attacken gegen den Rückzug des Staates aus der Kulturförderung, die „Charity-Initiativen“ von Unternehmen überlassen werde, oder in der Dresdner Rede „Wider die marktkonforme Demokratie“ (2012). Künstlerisch bleibe der lauter werdende Kapitalismuskritiker Schulze jedoch hinter seinen Möglichkeiten zurück, wie im „Peter Holtz“ nachzulesen sei, wo er die „Kritik entschärft und verzwergt“, um ihr den Makel ihrer SED-Herkunft zu nehmen (Das Argument, 332/2019). 


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