© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 50/19 / 06. Dezember 2019

Dorn im Auge
Christian Dorn

Keine Langeweile! Zum Abschlußkonzert ihrer jüngsten Jubiläumstour im bis zum Rand gefüllten Kesselhaus der Kulturbrauerei spielen „Pankow“ – die einzige Band, auf die aus musikalischer Sicht das Prädikat „Rolling Stones des Ostens“ tatsächlich zutrifft, wenngleich dies eine unzulässige Verkürzung wäre, wähnte die New York Times im Herbst 1989 doch die Band geradezu hymnisch als eine Formation, welche die Energie von The Clash mit der Innovation der Talking Heads verbinde. Mit anderen Worten: „Junge, was willst du mehr?“ So lautet heute, dreißig Jahre danach, auch der Refrain in dem – der 1975 verbotenen Renft-Combo – gewidmeten Blues „Der Tag, an dem die Mauer fiel“. Natürlich darf das Stück „Langeweile“ nicht fehlen, der prophetische Soundtrack zum Herbst 89 („dasselbe Land zu lange gesehen, dieselbe Sprache, zu lange gehört, zu lange gewartet, zu lange gehofft, zu lange die alten Männer verehrt / Ich bin rumgerannt, zuviel rumgerannt, zu viel rumgerannt, ’s ist doch nichts passiert“). Schon das erste Lied des Abends („Wieder auf der Straße“) wirkt programmatisch, werden doch vor allem Stücke des letzten DDR-Albums „Aufruhr in den Augen“ gespielt, so auch der gleichnamige Titelsong, der mich mit einem Mal viel persönlicher trifft als damals: „Deine Witze kannst du nicht erzählen / den Film von gestern nicht gesehen / den Hit des Jahres kennst du nicht / doch ich seh dir gerne ins Gesicht“ und „Dein Job, der bringt kein schweres Geld / du kennst gar nichts von der Welt.“ Aber eines ist mir wohl geblieben: Mein Aufruhr in den Augen – angesichts des „Willkommenswahns“. 


Insofern waren „Pankow“ mit ihrem 1997er-Album „Am Rande vom Wahnsinn“ leitmotivisch durchaus visionär. Doch die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt, wie auch ein Song dieses Albums demonstriert, der hier als letzte Zugabe erklingt: „Wunderbar“. Ein solches Erlebnis verspricht auch Anfang kommenden Jahres die 3-HIGHligen-Tour des „Pankow“-Sängers André Herzberg zusammen mit Dirk Michaelis und Dirk Zöllner, den „Jungveteranen“ (Die Welt) des Ostrocks, vergleichbar, als schmissen Grönemeyer, Westernhagen und Kunze ihre Stimmbänder für eine gemeinsame A-capella-Tour zusammen – eine Vorstellung, die angesichts des wie ein General bellenden Grönemeyers eine Zumutung wäre. Wie gut, daß also die musikalische Sonne weiterhin im Osten aufgeht, diesmal vom 4. bis 31. Januar, beginnend in Magdeburg über Rostock, Leipzig, Zwickau, Chemnitz und Stralsund bis zum letzten Konzert – im Kesselhaus der Kulturbrauerei.