© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 50/19 / 06. Dezember 2019

Das verdeckte Spiel im Sinne Roms
Helmut Golowitsch über die von der ÖVP dominierte österreichische Südtirolpolitik nach 1945
Reinhard Olt

Ob unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg tatsächlich die Chance für die Wiedervereinigung des 1918/19 geteilten Tirols bestand, ist umstritten. Unumstritten ist, daß das Gruber-De Gasperi-Abkommen vom 5. September 1946 in Paris, Grundlage für die 1972 errungene Autonomie der „Provincia autonoma di Bolzano“, sich für Österreichs Politik jahrzehntelang als „furchtbare Hypothek“ (Bruno Kreisky) erwies.

Allem Anschein nach fügte sich der österreichische Außenminister Karl Gruber seinerzeit ebenso dem italienischen Ministerpräsidenten Alcide De Gasperi wie den drängenden alliierten Siegermächten, um überhaupt etwas mit nach Hause bringen zu können. Es waren jedoch nicht allein die Unzulänglichkeiten des damals nach Paris entsandten österreichischen Personals sowie das mitunter selbstherrliche Gebaren Grubers respektive der Druck, die schließlich ein anderes als das von den Südtirolern erhoffte Ergebnis zeitigten. Eine soeben abgeschlossene, aus drei voluminösen Bänden bestehende Dokumentation des Historikers Helmut Golowitsch zeigt, daß auch hinter den Kulissen Akteure emsig und weitgehend inkognito am Geschehen beteiligt waren. 

Ergebenheitspolitik der ÖVP-Regierungen

So übte der Kärntner Unternehmer Rudolf Moser, enger Freund Kanzler Leopold Figls (ÖVP), einen fatalen Einfluß aus. Sein lautloses Mitwirken erstreckte sich nahezu auf das gesamte für den Südtirolkonflikt zwischen Österreich und Italien bedeutsame Geschehen vom Kriegsende bis zur sogenannten „Paket-Lösung“ Ende der 1960er Jahre, bisweilen lenkte er ihn in bestimmte Bahnen. In Italien, wohin seine Firma „A. Moser & Sohn, Holzstoff- und Pappenfabrik, Sachsenburg“, gute Geschäftskontakte unterhielt und sich Moser häufig aufhielt, stand er mit namhaften Persönlichkeiten in engem Kontakt; Papst Pius XII. empfing ihn mehrmals in Rom zur Audienz. Insofern eignete sich Moser nach 1945 geradezu ideal für die Aufnahme, Pflege und Aufrechterhaltung einer Verbindung zwischen den sich weltanschaulich ohnedies nahestehenden Parteien ÖVP und Democrazia Cristiana (DC). 

Das für das Nachkriegsschicksal der Südtiroler fatale Wirken Mosers ergab sich im Frühjahr 1946. Während nämlich die österreichische Bundesregierung offiziell die Selbstbestimmungslösung mittels Volksabstimmung verlangte, wurde Rom auf der Ebene parteipolitischer Beziehungen vertraulich darüber in Kenntnis gesetzt, daß sich Wien auch mit einer Autonomielösung anstelle eines Plebiszits einverstanden erklären könne. Das stand im erklärten Gegensatz zur Regierungserklärung Figls am 21. Dezember 1945 vor dem Nationalrat: „Eines aber ist für uns kein Politikum, sondern eine Herzenssache, das ist Südtirol. Die Rückkehr Südtirols nach Österreich ist ein Gebet jedes Österreichers.“ Doch keine fünf Monate später traf Figl über Mosers Vermittlung De Gasperi am 3. April 1946 zu einer ausgiebigen geheimen Unterredung, um eine davon abweichende Politik zu verfolgen. Dieses widersprüchliche Gebaren sollte sich unter allen auf Figl folgenden ÖVP-Kanzlern bis in die schwierigen 1960er Jahre fortsetzen. Rudolf Moser stand dabei allen österreichischen Regierungschefs als lautlos wirkendes Faktotum zur Seite. 

Mosers Engagement ging so weit, daß er sich nicht scheute, daran mitzuwirken, hinter dem Rücken des von 1959 bis 1966 amtierenden Außenministers Bruno Kreisky (SPÖ) sozusagen „christdemokratische Geheimdiplomatie“ zu betreiben und dessen mit Giuseppe Saragat ausgehandeltes „Autonomie-Maßnahmenpaket“ zu sabotieren. Dieses hatte die Südtiroler Volkspartei (SVP) dann auch am 8. Januar 1965 für „zu mager“ befunden und Nachverhandlungen angemahnt. Schon am 6. Januar 1962 hatte Moser in einer an ÖVP-Politiker verschickten „Südtirol-Denkschrift“ bemerkt, Kreisky betreibe „eine dilettantisch geführte Außenpolitik“, was auf den Gang Kreiskys 1960 vor die Vereinten Nationen gemünzt war. Doch die Weltorganisation zwang mittels zweier Resolutionen Italien zu „substantiellen Verhandlungen zur Lösung des Streitfalls“ mit Österreich, womit der Konflikt zudem internationalisiert und der römischen Behauptung, es handele sich um eine „rein inneritalienische Angelegenheit“ die Grundlage entzogen ward. In den romfreundlichen Kreisen der Bundes-ÖVP war dies jedoch mit Unwillen registriert worden.Staatssekretär Ludwig Steiner (ÖVP) wie auch der spätere Außenminister Kurt Waldheim versuchten Kreisky dazu zu bewegen, „die „österreichische Uno-Initiative zurückzunehmen“.

Unrechtsjustiz gegenüber Südtirol-Aktivisten geduldet

Ging es Golowitsch in Band 1 (Südtirol – Opfer für das westliche Bündnis. Wie sich die österreichische Politik ein unliebsames Problem vom Hals schaffte. Graz 2017; JF 15/18) darum, aufzuzeigen wie es Rom gewissermaßen unter Mithilfe aus Wien ermöglicht wurde,  die betrügerische Scheinautonomie von 1948 zu verfügen und wie das „demokratische Italien“ unter Führung der DC skrupellos die faschistische Politik der Entnationalisierung der Südtiroler fortsetzte, so steht in den Bänden 2 (Südtirol – Opfer geheimer Parteipolitik) und 3 (Südtirol – Opfer politischer Erpressung, beide Graz 2019) das geheime Zusammenspiel zwischen ÖVP und DC sozusagen en détail im Mittelpunkt. Dies gilt insbesondere für die Zeit von Mitte der 1950er bis Ende der 1960er Jahre und dem vom „Befreiungsausschuß Südtirol“ (BAS) mit anderen als „nur“ politischen Mitteln getragenen Freiheitskampf. Hierin zeigt Golowitsch Punkt für Punkt die Ergebenheitspolitik der ÖVP-Regierungen gegenüber Italien auf.  

Die römische Politik stand damals unter wachsendem Druck des BAS, dessen in Kleingruppen operierende Aktivisten Anschläge auf italienische Einrichtungen in Südtirol, vornehmlich Hochspannungsmasten, verübten. Trotz Massenverhaftungen und Folterungen von gefangenen BAS-Kämpfern in den Carabinieri-Kasernen wurden die italienischen Behörden dieser Bewegung nicht Herr. 

Rom versuchte daraufhin, Österreich mit dem Einlegen seines Vetos gegen die anstehende EWG-Assoziierung zu erpressen, indem es verlangte, in enger Zusammenarbeit mit italienischen Sicherheitsdiensten den Südtiroler Widerstand zu eliminieren. Daraufhin schwenkte die ÖVP-Alleinregierung unter Kanzler Josef Klaus in Südtirol-Fragen zunehmend auf italienische Vorstellungen ein. Dies zeigte sich insbesondere im Rahmen des sogenannten „Porzescharten-Attentats“, bei dem angeblich vier italienische Militärs zu Tode gekommen sein sollen. Aufgrund überzeugender Archivstudien und Analysen des Militärhistorikers Hubert Speckner sowie dreier Gutachten öffentlich bestellter und vereidigter Sprengmittelsachverständiger besteht indes heute kein Zweifel mehr daran, daß die offizielle Darstellung des „Attentats, das keines war“, wohl als Konstrukt italienischer Dienste gelten muß. Golowitsch breitet Speckners Erkenntnisse in seiner eingängigen Dokumentation noch einmal detailreich aus. 

Was folgt aus all dem? Der BAS hat 1967 auf der Porzescharte kein Attentat verübt. Die dafür verantwortlich gemachten Personen Erhard Hartung, Egon Kufner sowie der 2015 verstorbene Peter Kienesberger sind zu Unrecht verfolgt und von Italien zu Terroristen  gestempelt worden. 

Daher wäre es an der Zeit, die Urteile von Florenz, bei denen die „Täter“ in Abwesenheit zu lebenslanger (Hartung, Kienesberger) und 24 Jahren Haft (Kufner) verurteilt wurden, aus der Welt zu schaffen und die Justizopfer zu rehabilitieren. Mehrere aus der FPÖ-Parlamentsfraktion heraus an den von 2008 bis 2016 amtierenden Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) sowie seinem Genossen Bundespräsident Heinz Fischer (2004–2016) gerichtete Versuche erwiesen sich als ergebnislos. Faymann erklärte in seiner schriftlichen Antwort das Kanzleramt für unzuständig. Und Fischer verwies die „Betroffenen“ darauf, sie sollten doch lieber Gnadengesuche einreichen. 

 Helmut Golowitschs Dokumentation zur Südtiroler Zeitgeschichte beschreibt diese hintergründigen Zusammenhänge detailliert und quellengesättigt. Er offenbart mit dem weite Verbreitung zu wünschenden Werk eine vertiefte und vor allem auch notwendige korrigierende Sicht auf die österreichische Südtirolpolitik nach 1945. 

Helmut Golowitsch: Südtirol – Opfer politischer Erpressung. Leopold Stocker Verlag, Graz 2019, gebunden, 528 Seiten, Abbildungen, 29,90 Euro