© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 51/19 / 13. Dezember 2019

Sjors Kamstra. Berlin wird immer mehr zur Stadt der Gesetzlosen. Er stellt sich ihnen.
Außer Kontrolle
Ronald Berthold

Vier Leibwächter mußten den Berliner Oberstaatsanwalt Sjors Kamstra fünf Jahre lang schützen. So lange dauerte der Prozeß gegen führende Mitglieder der Hells Angels. Die Rocker sind ausnahmslos Migranten. In die Türkei geflüchtete mutmaßliche Mittäter schossen auf sein Foto und luden das Video im Netz hoch. Der 62jährige Jurist ist stark gefährdet, seit er die Anklage in dem Mordverfahren führte. Die unlängst verhängten lebenslangen Strafen gegen acht Angeklagte sind zwar ein Erfolg für Kamstra, dürften ihn in der Szene aber nicht beliebter gemacht haben.

Seit rund 25 Jahren kämpft der gebürtige Niederländer gegen die organisierte Kriminalität in der Hauptstadt. Zeitweise leitete er die zuständige Abteilung der Staatsanwaltschaft, bekam Einblick in die Welt arabischer Clans hierzulande: „Wir haben zu lange zugeguckt, daß sich kriminelle Strukturen verfestigen“, kritisiert er, „besser, wir hätten frühzeitig dazwischengegrätscht.“

Zu oft kommen Angeklagte mit Bewährung davon. Doch von neuen Gesetzen hält der Oberstaatsanwalt wenig, vielmehr fordert er eine „konsequentere Ausschöpfung vorhandener Strafrahmen“. Dennoch verlangt er Änderungen – zum Beispiel die Beweislastumkehr: Nicht die Strafverfolger sollten belegen müssen, daß das Vermögen der Clans aus kriminellen Quellen stammt, sondern diese, daß sie die Güter ehrlich erworben haben. Denn: „Die klassischen Ermittlungsmethoden greifen nicht mehr.“ Daher müßten auch Vorratsdatenspeicherung und Video-Vernehmung als Beweismittel zugelassen werden.

Der trotz seines Alters jungenhaft wirkende Ankläger ist parteilos. Dies gibt Kamstra eine gewisse Unabhängigkeit. Und die nutzt er zur Kritik an dem Land, dem er dient: „Deutschland ist zwar kein korrupter Staat. Die Korrumpierbarkeit hat aber zugenommen – und Kriminelle haben diese Ebene längst erreicht.“ Die Gründe dafür sieht er im gesellschaftlichen Werteverlust. Der führe zum „Verschwimmen der Grenze zum Kriminellen“.

Auf einer Veranstaltung in Wetzlar wurde er kürzlich sehr deutlich: „Die Eliten im Land taugen zunehmend weniger als Vorbilder.“ Dort äußerte er auch Verständnis für das Bedrohungsgefühl der Bürger. Den Wunsch nach geeigneten Gegenmaßnahmen könne er gut verstehen. Kamstra fordert, die Probleme offen und ehrlich zu benennen. So sei es etwa „kein rechter Populismus, sondern schlicht Fakt“, daß ausländische Täter in hohem Grade an der organisierten Kriminalität beteiligt seien.

Die Rockerszene habe sich verändert, stellte er nach dem Berliner Prozeß fest. Vermehrt mischten gewaltbereite junge Einwanderer mit, „die keine Gesetze und keine Loyalitäten kennen“. Und dies sei nicht nur ein Problem für die Behörden – sondern auch für die Alt-Rocker. Denn diese könnten die neuen Mitglieder bereits nicht mehr kontrollieren.