© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 51/19 / 13. Dezember 2019

Schritt nach rechts
CDU: In Sachsen-Anhalt macht die Partei deutliche Zugeständnisse an den konservativen Flügel
Christian Vollradt

Wo kommen wir her, wo wollen wir hin? Wer sich seiner selbst gerade nicht so ganz sicher ist, stellt diese Fragen und hofft, mit möglichst zufriedenstellenden Antworten eine Klärung der Lage zu erreichen. Das gilt für Menschen wie für Parteien. Für die CDU in Sachsen-Anhalt zeichnete sich der Bedarf des Insichgehens schon länger ab. Seit 2016 regiert man in Magdeburg in einer Kenia-Koalition mit SPD und Grünen. Da gilt es, unliebsame Kröten zu schlucken. Und gleichzeitig nimmt der Druck von rechts durch die AfD zu. Wie mißlich die Lage für die Christdemokraten ist, zeigte erst kürzlich die verhinderte Berufung Rainer Wendts als Innenstaatssekretär durch CDU-Chef Holger Stahlknecht (JF 49/19). Bei der Kommunalwahl im Frühjahr hatte die Union im Vergleich zu 2014 fast zehn Prozentpunkte verloren.  

Das am vergangenen Samstag auf dem Kleinen Parteitag in Magdeburg mit großer Mehrheit beschlossene Grundlagenpapier mit dem Titel „Wir, die CDU – unsere Identität“ bilanziert daher auch recht schonungslos: In vielen Kreisverbänden mache die Partei „eine dreifache Verlusterfahrung: Stimmenverlust, Mitgliederverlust, Vertrauensverlust“. Weiter heißt es: „Die Integration konservativ-nationaler Kräfte in die politische Mitte der Gesellschaft ist ein Anliegen der CDU.“ Dies gelte „insbesondere für die Rückgewinnung verlorengegangener konservativer Wähler durch eine ehrliche Parteiarbeit.“

Flüchtlingskrise „nicht befriedigend bewältigt“

Bemerkenswert ist vor allem, was in dem Papier nicht – oder nicht mehr – steht. Denn am ersten Entwurf, den der Vorsitzende der Antragskommission, André Schröder, im Sommer an die Parteifreunde verschickt hatte, ließen insbesondere die ländlich-konservativ geprägten Kreisverbände kein gutes Haar. Sie torpedierten vor allem die Absicht, mit dem Papier schwerpunktmäßig gegen die AfD Stellung zu beziehen. In der nun beschlossenen Version heißt es: „Die CDU spricht sich eindeutig für eine klare Abgrenzung gegenüber der AfD und der Partei Die Linke aus. Beide sind für uns weder Ansprechpartner noch Verbündeter.“ Gestrichen wurde jedoch der Satz „Eine institutionelle oder strategische Zusammenarbeit wird es mit beiden Parteien nicht geben.“ Statt dessen heißt es dort: „Eine Koalition wird es daher zur nächsten Landtagswahl mit der Linken und mit der derzeit in vielen Teilen radikalen AfD nicht geben.“ Die Betonung liege auf „derzeit“ und „in Teilen“, erläutert ein an der Umformulierung beteiligtes Parteimitglied. Dies sei der Kompromiß gewesen, auf den sich die konservative Basis in den Kreisen mit den liberaleren Funktionären um Schröder einigen konnten. Im Gegenzug fielen ganze Passagen, in denen vor der rechten Konkurrenz gewarnt wird, dem Rotstift der rebellischen Kreisverbände zum Opfer. Etwa daß die AfD „das politische Klima vergiftet“. Gestrichen auch: „Während sich die CDU als Verteidigerin unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung versteht und diese maßgeblich mitgeprägt hat, zielt die AfD auf einen fundamentalen Umbau der bisherigen politischen und rechtsstaatlichen Gesamtordnung ab.“

Neu eingefügt dagegen ist der Passus, der dem innerparteilichen Linkstrend entgegenwirken soll: „Die Wahlergebnisse in den Wahlkreisen haben eindrücklich bestätigt, daß Kandidaten mit klaren politischen Akzenten über dem Landesdurchschnitt der CDU lagen. Die Erwartungen der eigenen Wählerschaft sind nicht nur in Beschlüssen der Partei, sondern auch in konkreten Entscheidungen einzulösen.“ Die rebellischen Kreisverbände strichen bezeichnenderweise auch den Satz „Wir stellen unsere eigene Regierungsarbeit nicht in Frage“ heraus. Mit anderen Worten: Die Kenia-Koalition wird durchaus hinterfragt. Ein Fingerzeig ist auch die Streichung des Satzes, wonach eine „Minderheitsregierung für uns keine sinnvolle Alternative zu stabilen Regierungsmehrheiten“ sei. Die Botschaft: beim nächsten Mal lieber als Minderheit, möglicherweise geduldet von der AfD, regieren als mit zwei linken Partnern.  

Über mehrere Seiten folgen dann Forderungen und Thesen, die nahezu unverändert einem Positionspapier des Kreisverbandes Harz entnommen wurden, das Anfang September Aufsehen erregt hatte, weil in ihm indirekt sogar eine Koalition mit der AfD ins Spiel gebracht wurde (JF 38/19). So heißt es nun auch im offiziellen Text der Landes-CDU, die Flüchtlingskrise sei „nicht befriedigend bewältigt“, und das „bisherige Agieren hat insbesondere der ostdeutschen CDU, auch in einstigen Hochburgen wie Sachsen und Thüringen, geschadet“. Gefordert wird eine „konsequente Anwendung der Beschränkung des Aufenthaltsrechtes für abgelehnte Asylbewerber“ sowie eine verbindliche Obergrenze. Zudem heißt es: „Mit Blick auf unsere kulturellen Werte und historischen Prägungen gilt aber auch, daß der Islam nicht zu Deutschland gehört.“

Gestrichen wurde der im Entwurf enthaltene Satz „Wir sehen uns als Integrationsland“. Eingefügt wurde das Bekenntnis zu „Vaterland, Patriotismus, Heimatliebe und Leitkultur“ sowie zum „Europa der Regionen und Vaterländer“. Zudem sollen Mütter und Väter frei sein, sich auch für ein Familienmodell zu entscheiden, „bei dem nur ein Elternteil einer Erwerbsarbeit während der Betreuungszeit nachgeht“.

Daß dieses Grundlagenpapier sowohl bei den Koalitionspartnern als auch in der Berliner Parteizentrale Unmut erzeugen würde, habe man eingepreist, gesteht ein langjähriges Parteimitglied. Wäre indes die ursprüngliche Version unverändert durchgegangen, hätte es in mehreren Kreisverbänden „geknallt“.

 Kommentar Seite 2