© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 51/19 / 13. Dezember 2019

Rückzug von der Revolte
SPD-Parteitag: GroKo-Aus vorerst abgesagt / Linksrutsch vernehmbar
Björn Harms

Als die SPD-Parteimitglieder vor knapp zwei Wochen mit Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken zwei relativ unbekannte GroKo-Skeptiker zum neuen Führungsduo auserkoren, sah manch einer bereits das vorzeitige Aus der Koalition nahen. Doch auf dem SPD-Parteitag am vergangenen Wochenende, bei dem die beiden als neue Vorsitzende der sozialdemokratischen Partei bestätigt wurden, klangen schon gänzlich andere Töne an. Von der stürmischen Juso-Aussage „Am Nikolaus ist GroKo-Aus“ wollte am Ende niemand mehr etwas wissen.

Statt dessen kündigten Esken und Walter-Borjans an, „Gespräche über Verbesserungen“ mit der Union suchen zu wollen, sprachen von einer „realistischen Perspektive“ und beschworen die Einigkeit der Partei. Die zuvor angekündigte Erneuerung der SPD, die in verschiedensten angenommenen Anträgen auf dem Parteitag mündete, besteht im wesentlichen aus der Forderung nach einer weitgehenden Abschaffung von Hartz IV, einer Entlastung bei den Pflegekosten, der Einführung einer Vermögenssteuer und höheren Schulden, damit der Staat mehr investiert – klaren, linken Positionen also.

 Die Begeisterung hielt sich bei vielen Anwesenden, auch nach den Antrittsreden der beiden neuen Vorsitzenden, jedoch in Grenzen. „Ich hab’ jetzt nichts Neues gehört, was Sozialdemokraten nicht auch schon vorher gesagt haben“, bemerkte eine Delegierte aus Nordrhein-Westfalen im Phoenix-Interview. „Neue Antworten“ auf drängende Fragen seien nicht gefallen.

Eine weitere Delegierte hatte derweil ihre ganz eigene Erklärung, weshalb so recht keine Stimmung im „CityCube“ auf dem Berliner Messegelände aufkommen wollte: „Ich glaube, daß hat auch was mit der Location zu tun.“ Spannung hatte sich im Vorfeld des Parteitags vor allem bei der Abstimmung über die neuen Stellvertreter angedeutet. Eigentlich sollte es zur Kampfabstimmung zwischen Arbeitsminister Hubertus Heil und Juso-Chef Kevin Kühnert kommen – stellvertretend für die Unstimmigkeiten zwischen Bundestagsfraktion und linkem Nachwuchs.

Doch der Parteitag entschied sich für die salomonische Lösung: Statt drei gibt es künftig fünf Stellvertreter. Neue Parteivizes sind künftig neben Klara Geywitz, die zusammen mit Olaf Scholz das Rennen um den Chefposten verloren hatte, der schleswig-holsteinischen SPD-Chefin Serpil Midyatli sowie der Landesvorsitzenden der Saar-SPD, Anke Rehlinger, Heil und Kühnert.

Kevin Kühnerts Rede wird lautstark bejubelt

Letzterer hielt die wohl prägnanteste Rede des Parteitags. Während alte Granden wie Kurt Beck oder Martin Schulz mit versteinerten Mienen in den vordersten Reihen saßen und damit jedem neutralen Zuschauer signalisierten, wie trügerisch die neue Harmonie in der SPD tatsächlich ist, jubelten Kühnert die Deligierten aus den hinteren Reihen lauthals zu. Der „Königsmacher“ von Esken und Walter-Borjans sprach sich dafür aus, linke Mehrheiten zu nutzen, gab dem Seeheimer Kreis in der SPD einen Seitenhieb mit („Ich war noch nie auf einer Spargelfahrt, habe aber auch noch nie eine Einladung bekommen“) und drosch zur Freude der Delegierten lautstark auf die CDU ein.

Die Union forderte ihrerseits die SPD auf, zu klären, „wer führt, wer entscheidet, wer setzt durch?“, wie es CSU-Chef Markus Söder formulierte. Noch scheint man sich unsicher zu sein, ob die neuen Parteichefs, die SPD-Minister oder die SPD-Fraktion die richtigen Ansprechpartner sind. Doch viel entscheidender: Wird es Zugeständnisse an die Sozialdemokraten geben? Gerade die Schuldenbremse beziehungsweise die Schwarze Null gilt in der Union als unverhandelbar.

Ein Koalitionsausschuß soll sich dem Vernehmen nach noch vor Weihnachten treffen. Das sei auch am Sonntag in einer Telefonkonferenz der Parteichefs Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) und Markus Söder mit Kanzlerin Angela Merkel bestätigt worden. Im Vorfeld dämpften führende Unions-Politiker die Erwartung der neuen SPD-Spitze nach weitreichenden Kompromissen. Es werde kein „Begrüßungsgeschenk“ für die neuen SPD-Parteivorsitzenden geben, sagte CDU/CSU-Fraktionschef Ralph Brinkhaus am Montag in Berlin.

Und während der Koalitionspartner murrt, ist auch ungewiß, wie die neue SPD beim Wähler ankommt. Eine erste Umfrage für die SPD nach der Wahl von Esken und Walter-Borjans kam auf 11 Prozent, eine andere auf 16 Prozent.

Eines jedoch dürfte bereits feststehen: daß Ralf Stegner bei der Neuausrichtung seiner Partei keine Rolle mehr spielen wird. Der bisherige Vize-Parteichef erzielte im ersten Wahlgang zum Parteivorstand eines der schlechtesten Ergebnisse aller Kandidaten. Um einer Blamage zu entgehen, zog er daraufhin – genau wie Berlins Bürgermeister Michael Müller, der ebenfalls scheiterte – eine Kandidatur im zweiten Wahlgang zurück. Seine bundespolitische Karriere gilt damit als schwer beschädigt, wenn nicht sogar beendet.

Dabei fühlte sich Stegner ein paar Tage zuvor noch zu Höherem berufen: Ein Telefonstreich des Youtubers Klemens Kilic hatte bewiesen, daß Stegner bereit gewesen wäre, Vize-Kanzler zu werden und Finanzminister Olaf Scholz abzusägen, um seinen Posten zu übernehmen. Kilic hatte sich am Telefon als Walter-Borjans ausgegeben und Stegner vorgegaukelt, den Vizeposten in der GroKo anzubieten, um den Burgfrieden in der Partei zu wahren. Darüber müsse er erst etwas nachdenken, antwortete ein leicht verblüffter, aber auch geschmeichelter Stegner und versicherte: „Aber Erfahrung als Finanzminister habe ich. Und vorstellen kann ich mir das.“ Er müsse noch mal mit seiner Frau darüber sprechen.