© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 51/19 / 13. Dezember 2019

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Labern statt ackern
Christian Vollradt

Wer zum Gipfel lädt, weckt Erwartungen. Wenn irgendwo Probleme gelöst und Streitfragen beigelegt werden können, dann bei einem solchen Spitzentreffen. 

Man konnte es also durchaus als Signal verstehen, daß Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) die Landwirtschaft zur Chefsache erklärt hatte und zum Gipfeltreffen in ihren Amtssitz lud. Hatten doch in den vergangenen Wochen die Bauern landauf, landab in zahlreichen Städten mit Protestzügen friedlich, aber lautstark auf ihre mißliche Lage angesichts ständig verschärfter Auflagen und Einschränkungen aufmerksam gemacht; und waren erst jüngst mit tausenden Traktoren aus dem ganzen Land in die Mitte Berlins gezogen, um ihrem Unmut über das Agrarpaket im Regierungsviertel Luft zu machen. 

Bereits zuvor war spürbar geworden, wie sehr die einst treuesten der treuen Wähler der Kanzlerinpartei zürnen. Mitte November hatte der Parlamentskreis Mittelstand der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zum Fachgespräch über die Landwirtschaft in den Reichstag geladen. Viele aus der Branche (und der Partei) waren gekommen. Dazu auch über 30 Abgeordnete, eine ungewöhnlich hohe Zahl bei einem solchen Anlaß. Warum? Viele hatten über Wochen und Monate böse Briefe von Betroffenen aus ihren ländlich geprägten Wahlkreisen bekommen, verrät ein Abgeordneten-Mitarbeiter. Die Angst um die berufliche Existenz übertrug sich also von den Bauern auf die MdB. Und so mangelte es nicht an deutlichen Worten. In seinem Eingangsreferat hatte der bekannte Agrarwissenschaftler und Blogger Willi Kremer-Schillings („Bauer Willi“) die Gastgeber nicht geschont: „Die Bauern kommen sich von CDU und CSU verraten und verkauft vor.“ Letztlich ginge es, so ein weiterer Teilnehmer, um die Frage: „Wollen wir noch Landwirtschaft in Deutschland?“ 

Da ein „Nein!“ als Antwort aus verschiedenen Gründen für die Kanzlerin nicht in Frage kommt, selbst wenn die Politik ihrer Regierung langfristig auf dieses Ziel zusteuern könnte, mußte also eine Geste gefunden werden: ein Gipfel. Doch so wichtig wie die Beruhigung des aufgebrachten Bauernstandes, der „die PS, die wir auf der Straße gezeigt haben, auch in die Gespräche mit der Politik bringen“ will (so Demo-Mitorganisatorin Maike Schulz-Broers), ist es für Merkel, auf keinen Fall den Frieden in der zerbrechlichen Koalition zu gefährden. Mit anderen Worten: Die Ergebnisse des Gipfels dürfen das zuvor im Kabinett Ausgehandelte nicht über ein kosmetisches Maß hinaus verändern. 

Einfachstes Mittel: Die Liste der Eingeladenen ist so lang, daß die Zeit für zielgerichtete Verhandlungen nicht reicht. Das Kanzleramt lud rund 80 Teilnehmer aus knapp 40 Organisationen und beraumte 180 Minuten – inklusive Mittagessen – an. Früher zählte das Erreichte, heute reicht das Erzählte, faßte ein enttäuschter Teilnehmer das Treffen zusammen. Eine Beruhigungspille sei der Gipfel gewesen, meinte ein Branchenkenner, die die „Kraft der Straße“ umlenken sollte in händeschüttelnde Funktionärsrunden.