© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 51/19 / 13. Dezember 2019

Auswüchse des Wohlfahrtsstaats
Migration: Forschern der Princeton-Uni gelang es erstmals, einen direkten kausalen Zusammenhang zwischen der Großzügigkeit der Sozialleistungen und der Zuwanderung nichtwestlicher Migranten nachzuweisen
Christoph Arndt

Ein Forscherteam bestehend aus Ole Agersnap, Amalie Sofie Jensen und Henrik Kleven von der Universität Princeton hat mit Hilfe neuer dänischer Daten untersucht, ob und inwieweit der Sozialstaat ein Zuwanderungsmagnet ist. 

Dänemark stellt hierbei eine Art natürliches Experiment dar, da das Land im Zeitraum 2001 bis 2019 unter bürgerlichen Regierungen die Sozialhilfe für nichtwestliche Zuwanderer in den Jahren 2002 und 2015 deutlich reduziert hat, während diese Maßnahmen von der sozialdemokratisch-sozialliberalen Regierung Thorning-Schmidt 2011 vorübergehend abgeschafft wurden. 

Die Sozialhilfe (Kontanthjælp) wurde dabei de facto um bis zu 50 Prozent gekürzt, da Antragsteller, die zuvor nicht mindestens sieben Jahre in Dänemark gelebt hatten, nur noch die niedrigere Starthilfe beantragen konnten. 

 Untersucht wurde die Zeit zwischen1980 und 2017

Somit kann man mit entsprechenden Zeitreihenanalysen von Sozialversicherungsnummern und Daten von Danmarks Statistik unter Konstanthaltung aller anderen Faktoren testen, ob eine reduzierte Sozialhilfe mit geringerer Migration einhergeht und eine höhere Sozialhilfe überproportional nichtwestliche Zuwanderer, die nicht aus der Europäischen Union und der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) kommen, anzieht.

 Diese sogenannte Magnethypothese (welfare magnet hypothesis), wonach der Sozialstaat in Form von hohen passiven Transferleistungen nichtwestliche und schlecht ausgebildete Zuwanderer anzieht, ist auch in der Wirtschaftswissenschaft und der Arbeitsmarktforschung Gegenstand von Kontroversen, jedoch fehlte es häufig an belastbaren Daten, um einen direkten Kausalzusammenhang zu beweisen oder einen Konsens über das Ausmaß des Magneteffektes zu erreichen.

Dies ist dem Forscherteam um den Ökonomen Ole Agersnap nun gelungen. Die Autoren verwenden eine Zeitreihe der Ein- und Auswanderung für die Jahre 1980 bis 2017, aufgeschlüsselt nach Nationalitäten und der Motivation für die Migration (Arbeit, Asyl, Familienzusammenführung und Studium). Sie teilen dabei auch nach westlicher und nichtwestlicher Herkunft ein, um den Nettoeffekt der Sozialhilfereduzierung nach 2002 und 2015 zu identifizieren, indem sie ihn mit den Zuwanderungsmustern der westlichen, nicht von der Kürzung betroffenen Zuwanderer vergleichen.

Die nichtwestliche Zuwanderung nach 1980 folgt dabei zunächst einem linearen Trend, der dann aber durch die reduzierte Sozialhilfe 2002 gebrochen wird. Im Zeitraum 2002 bis 2011, der erstmaligen Einführung einer verminderten Sozialhilfe für nichtwestliche Zuwanderer unter der liberal-konservativen Regierung Fogh Rasmussens (Venstre), fällt die Zuwanderung um mehrere tausend. 

Nach der vorübergehenden Abschaffung 2011 verdoppelt sich die Anzahl der nichtwestlichen Zuwanderer in einem relativ kurzen Zeitraum und sinkt dann wieder markant, nachdem die Mitte-Rechts-Regierung Løkke Rasmussens (Venstre) die Sozialhilfe für diese Zuwanderergruppe erneut gekürzt hatte. 

Nach Einführung der reduzierten Starthilfe für diese Gruppe reduziert sich die Anzahl der betroffenen Migranten um etwa 5.000, was bei einem relativ kleinen Land wie Dänemark mit etwa 5,8 Millionen Einwohnern eine beachtliche Größenordnung ist – insbesondere wenn man die kumulativen Effekte über mehrere Jahre einbezieht. Somit gibt es einen Zusammenhang zwischen Sozialleistungen und der Anzahl der Zuwanderer im Zeitverlauf.

Die Studie untersucht dann in einem weiteren Schritt die Migrationsströme, aufgeschlüsselt nach Grund oder Motivation für die Einwanderung anhand des von Danmarks Statistik erfaßten Typs der Aufenthaltsgenehmigung (Arbeit, Asyl, Familienzusammenführung und Studium).

Leistungskürzungen verringern Zuwanderung

Hierbei wird deutlich, daß die Kürzung der Sozialhilfe keinen negativen Einfluß auf den Zustrom von Arbeitsmigranten und Studenten hatte. Im Gegensatz dazu fällt die Migration nach 2002 bei jenen Migranten, die Asyl und Familienzusammenführung als Zuwanderungsgrund bei der Beantragung ihrer Aufenthaltsgenehmigung anführten. 

Somit wählen Asylbewerber ihr Zielland auch nach Höhe der Transferleistungen aus. Werden diese wie im Falle Dänemarks gekürzt, sinken auch die Asylbewerberzahlen und Anträge auf Familienzusammenführung aus Ländern wie Afghanistan, Irak oder Syrien entsprechend. Die Studie schätzt hierbei anhand von statistischen Modellen, daß die Kürzung der Sozialhilfe für ein Paar mit Kindern um umgerechnet 800 US-Dollar die Zuwanderung um 3,5 Prozent der entsprechenden, bereits im Land befindlichen Zuwanderergruppe reduziert hat. Durch weniger attraktive Sozialleistungen ist es daher möglich, den Zuwachs an nichtwestlicher, asylbedingter Zuwanderung aufzuhalten und zu bremsen.

Schweden unterscheidet sich markant von Dänemark

Die Robustheit ihrer Resultate unterstrichen die Forscher zudem durch einen Vergleich mit den nordischen Nachbarländern, die keine gezielte Kürzung der Sozialhilfe einführten und somit einen linearen Zuwanderungstrend ohne Trendbruch aufweisen. 

Dieser Plausibilitätstest zeigt, daß die Kürzung in den Jahren 2002 und 2015 die Ursache für den Rückgang der Zuwanderung nach Dänemark ist, da Finnland, Norwegen und Schweden keinen Bruch des Trends im selben Zeitraum verzeichnen. Zudem nähert  die Zuwanderung nach Dänemark sich im Zeitraum der Aufhebung der Kürzungen wieder den skandinavischen Nachbarländern an.

Somit ist erstmals gelungen, einen kausalen Zusammenhang zwischen der Großzügigkeit der Sozialleistungen und der Zuwanderung nichtwestlicher Zuwanderer nachzuweisen und folglich einen direkten Test der Magnethypothese vorzulegen. Diese Großzügigkeit ist zugleich eine wichtige Determinante für Zuwanderungsentscheidungen, insbesondere von Asylbewerbern.

 Ole Agersnap, Amalie Sofie Jensen und Henrik Kleven (2019): The Welfare State Magnet Hypothesis, National Bureau of Economic Research, NBER Working Paper No. 26454.