© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 51/19 / 13. Dezember 2019

Ein existentieller Absturz
Adelshaus contra Staat: Im Streit mit den Hohenzollern geht es um das Verhältnis der Familie zum NS-System
Thorsten Hinz

Seit Monaten werden die Verhandlungen zwischen dem Staat und dem Haus Hohenzollern über die  Rückerstattung von Besitztümern, die nach dem Zweiten Weltkrieg von den sowjetischen Besatzern entschädigungslos enteignet wurden, von einer öffentlichen Kontroverse und teilweise von offenen Haßbekundungen begleitet. Spätestens seit der Sendung des ZDF-Moderators Jan Böhmermann, der vertrauliche Gutachten veröffentlichte, ist aus der Kontroverse eine Stimmungsmache geworden. „Wie können wir, die Bürgerinnen und Bürger des demokratischen Deutschlands, den Hohenzollern alles wegnehmen, was sie besitzen, und zwar legal?“, fragte die Speerspitze öffentlich-rechtlicher Niedertracht, worauf die Süddeutsche Zeitung befand, Böhmermann hätte „als Aufklärer eine neue, ernsthafte Rolle gefunden“.

Aus der SPD schmetterte es fanfarenhaft, den Hohenzollern stünde „kein Cent“ zu, und der linke Jura-Professor Andreas Fischer-Lescano ließ sich mit einem Zitat des Soziologen Niklas Luhmann vernehmen: „Der hat einmal gesagt, daß es Dinge gebe, die so geschmacklos sind, daß man nicht in Rechtstexten nachschlagen muß, um zu wissen, daß es Unrecht ist.“ 

Wenn Juristen mit Geschmacksfragen argumentieren, wird es unheimlich. Hier wird eine antifaschistisch-stalinistische Praxis für sakrosankt erklärt, die zum Beispiel dem Herzog zu Mecklenburg, der 1945 den Russen in die Hände gefallen war, als „Mitglied einer Kaste, die immer schon Kriege geplant und ausgeführt hatte“, eine Verurteilung zu 25 Jahren Haft einbrachte. Der egalitär gesinnte Homo bundesrepublicanensis macht sich die Denkstrukturen und Charakterzüge des Homo sovieticus zu eigen.

Es geht – ein Mantra von Politik und Medien – um das Verhältnis der Familie zum NS-System. Doch läßt die Geschichte der Hohenzollern sich nicht darauf verkürzen. Ohne sie gäbe es den heutigen deutschen Staat überhaupt nicht, sie gehören im Guten wie im Schlechten zum historischen Mobiliar. Die politische und historische Vernunft würde es gebieten, ihnen eine relative Restitution und materielle Ausstattung zuzugestehen, und zwar in der Erwartung, daß sie das kulturelle und soziale Kapital, das in ihrem Namen verankert ist, dazu gebrauchen, Nützliches insbesondere für Berlin und Brandenburg zu tun.

Nun macht es die gescheiterte Gestalt Wilhelm II., des letzten Kaisers und Königs, den Gegnern leicht, Ressentiments zu schüren. Für den Kulturhistoriker Egon Friedell war Wilhelm „fast immer der Ausdruck der erdrückenden Mehrheit seiner Untertanen gewesen (...), der Verfechter und Vollstrecker ihrer Ideen, der Repräsentant ihres Weltbildes“. Gerade darin lag sein Manko. Er hätte weiser und klüger als die Mehrheit, mehr Aristokrat und weniger das Medium demokratischer Instinkte sein müssen, um eine konstruktive Rolle spielen zu können. Die Tatsache, daß die meisten Deutschen des wilhelminischen Zeitalters „Taschenausgaben, verkleinerte Kopien, Miniaturdrucke Kaiser Wilhelms“ (Egon Friedell) gewesen waren, ließ ihn nach 1918 zur bequemen Projektionsfläche kollektiver Erbitterung und des Abscheus werden.

Die Forderungen der Hohenzollern leiten sich aus dem „Ausgleichsleistungsgesetz“ von 1994 her, das Entschädigungen für die Enteignungen durch die sowjetischen Besatzer zwischen 1945 und 1949 ermöglicht. Eine Einschränkung ist vorgesehen, wenn die Enteigneten „dem nationalsozialistischen System erheblichen Vorschub geleistet“ haben. Doch dazu hatten die Hohenzollern gar keine Gelegenheit. Legt man diesen Maßstab zugrunde, wäre auch die Totalenteignung der Linkspartei fällig, die in der Nachfolge der SED und der KPD steht. Für den preußischen Ministerpräsidenten Otto Braun (SPD) war klar, daß die Kommunisten zu den entscheidenden Wegbereitern der NS-Diktatur gehörten. Im Landtag hatte er sich an die KPD-Fraktion mit den Worten gewandt: „Sie wollen beide die demokratische Republik zertrümmern, um dann auf den Trümmern ihre Diktatur zu errichten, und zwar jeder die seine. Sie wollen dann die hängen und die Sie. Ich fürchte, Sie werden die Gehängten sein.“ Worauf ihm entgegenschallte: „Dich hängen wir zuerst!“

Tatsächlich hatten die Hohenzollern, so der ehemalige Kronprinz Wilhelm (1882–1951) und mehr noch sein Bruder August Wilhelm (1887–1949), große Erwartungen an Hitler geknüpft und ihn unterstützt. Der Historiker und Adelsexperte Stefan Malinowski schätzte 2015 den Kronprinzen zwar als eine „Randfigur“ ein, um dann doch, was die Fakten nicht hergeben, durch rhetorische Suggestion zu ersetzen: „Die öffentliche Solidarisierung des Hohenzollern mit den Schläger- und Mordmethoden der NS-Bewegung darf bemerkenswert genannt werden.“ Das Wort „bemerkenswert“ enthält den persönlichen Eindruck des Autors, jedoch keine meßbare, „erhebliche“ Quantität an Mitschuld.

Unbestritten bleibt, daß das politische Gezettel der Hohenzollern-Prinzen in der Weimarer Republik amateurhaft, illusionär und – natürlich – antirepublikanisch war. Doch wie hätte es anders sein können? Im März 1940, während des „Drôle de guerre“, beschäftigte Jean-Paul Sartres sich intensiv mit der Kaiser-Biographie von Emil Ludwig. Für Sartre war die kaiserlich-königliche nicht mit einer bürgerlichen Existenz vergleichbar. Für einen Thronfolger war die Krone kein Beruf, sondern Schicksal. Während der bürgerliche Mensch in einem bestimmten Alter für einen bestimmten Beruf optiert, stehen Mensch und Krone in einem „wesenhaften“ Verhältnis. „Der Kronprinz hat eine versperrte und festgelegte Zukunft, sobald er in der Welt auftaucht.“ Weil Amt und Person sich nicht trennen lassen, ist das Herrschen „seine wesentlichste und individuellste Möglichkeit“, und „das einzige Werden, das sie verdienen können, ist das eines großen Königs (…).“ Aus diesem Bemühen erklärt sich die Exaltiertheit des letzten deutschen Kaisers, der andererseits weder das Zeug noch den Willen zu einem modernen Cäsar Spenglerscher Prägung hatte. Im übrigen paßte das traditionelle König- und Kaisertum einfach nicht mehr in die moderne Industrie- und Massengesellschaft.

Sartre hat in seinen Tagebuch-Notizen die Höhe ausgemessen, aus der Wilhelm II. 1918 abstürzte. Neben dem politischen, gesellschaftlichen und sozialen war es ein im Wortsinn existentieller Absturz.

Gleiches gilt für den Kronprinzen Wilhelm. Der Schriftsteller und Militär Gustav Hillard (1881–1972)  war ein enger Freund des Prinzen. Hillard (bürgerlich Steinbömer) ist heute weitgehend vergessen. Aus seinem belletristischen Werk ragt der Roman „Kaisers Geburtstag“ (1959) hervor, mit dem er Fontanes Berlin-Romanen und Joseph Roths „Radetzkymarsch“ nacheiferte, ohne an sie heranzureichen. Bedeutsamer sind seine Lebenserinnerungen „Herren und Narren der Welt“ (1954). Hillard gehörte zu der Handvoll Kadetten, die zur Prinzenschule Plön abgestellt wurden, um dort dem Kronprinzen und seinem Bruder Eitel Friedrich Gesellschaft zu leisten.

Der Prinz war gegenüber dem Bürgersohn ohne Adelsdünkel. Hillard beschrieb ihn als Mann von nüchternem, gesunden Menschenverstand, der keine höheren Ambitionen geistiger oder musischer Art hegte und seine Grenzen kannte. Er hatte ein gewinnendes Auftreten, neigte allerdings dazu, die Aufmerksamkeit, die man ihm seiner Stellung wegen schenkte, auf persönliche Vorzüge zurückzuführen. Als er ihn nach dem Ersten Weltkrieg auf der Insel Wieringen besuchte, die Wilhelm von der holländischen Regierung als Exilort zugewiesen war, fand er einen gebrochenen Mann vor, dem seine wesenhafte Berufung und damit der Lebenssinn genommen war.

Nach der Rückkehr nach Deutschland Ende 1923 verpflichtete der Kronprinz sich, auf restaurative Aktivitäten zu verzichten. Äußerlich hielt er sein Versprechen ein, „(aber) niemand konnte ihn zu einem inneren Verzicht zwingen. Er fühlte sich vor der Geschichte zum Throne berufen und legitimiert. Es war die Wesensmitte, aus der er existierte.“ So waren seine Aktivitäten und die Gespräche mit Politikern, Journalisten, Militärs indirekt eben doch auf die Wiederherstellung der Monarchie gerichtet, wobei seine Nüchternheit der Selbsttäuschung wich. So glaubte er in Zufälligkeiten versteckte Anzeichen royalistischer Sympathien zu erkennen. In Hitler sah er anfangs einen „deutschen Mussolini“, von dem er erhoffte, daß er den Kaiserthron wiedererrichten würde. 

Mitte 1934 setzte laut Hillard die Abkehr ein. Die Anschauungen des Kronprinzen, „welche jede menschliche Art gelten und gewähren ließen, jede menschliche Stimme langmütig und nachsichtig duldeten“, seien absolut unvereinbar gewesen mit dem „unmenschlichen Dogmatismus und Fanatismus des Nazismus“. Kurz vor der Stalingrad-Katastrophe trafen beide sich in einem Hotel in München. Wilhelm sei nervös und fahrig gewesen und habe „eine völlig klare Einsicht in unsere verzweifelte Situation“ besessen. Er war „ein Mensch, der auf einen Sinn seines Lebens verzichtet hatte“.