© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 51/19 / 13. Dezember 2019

Deutsche Neurosen
Totalitäre Gesinnung: Zur jüngsten geschmacklosen Aktion des Zentrums für Politische Schönheit
Thorsten Hinz

Die jüngste Aktion des „Zentrums für Politische Schönheit“ (ZPS) ist für ihre Urheber zum Rohrkrepierer geworden. Dabei hatte alles so schön angefangen. Eine zweieinhalb Meter hohe und vier Tonnen schwere stählerne „Säule gegen den Verrat an der Demokratie“, exakt gegenüber dem Reichstagsgebäude auf dem Gelände der ehemaligen Krolloper plaziert, sollte daran erinnern, daß an diesem Ort „der deutsche Konservatismus die Demokratie in die Hände von Hitler und seinen Nazischergen“ legte. Der Clou: In die Säule waren angeblich die Asche und sonstige Restpartikel von Holocaust-Opfern eingelassen und  durch ein transparentes Teilstück sichtbar gemacht worden. Das ZPS behauptete, an 23 NS-Mordstätten entsprechende Proben genommen und dabei Hinweise auf menschliche Überreste gefunden zu haben, an einem Ort sogar „metertief Asche und Knochenkohle“.

Ähnliche Installationen wurden in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen errichtet. Die Überreste der Toten sollten den „deutschen Konservatismus“ weiterhin ermahnen, nicht erneut „mit ihnen (den Faschisten – Th. H.) zu paktieren“. Das bezog sich auf mögliche Koalitionen von Union und AfD. Zu diesem Zweck war eine gesonderte Protestveranstaltung, ein „Zivilgesellschaftlicher Zapfenstreich und Schwur gegen die AfD“, geplant. 

Die Reaktionen waren zunächst wohlwollend. Der Berliner Tagesspiegel beurteilte die Aktion  als „drastisch und notwendig“, weil in Zeiten rechter Wahl-

erfolge „das Lernen aus der Vergangenheit eine neue Dringlichkeit besitzt“. Lea Rosh, die umtriebige Initiatorin des monumentalen Stelenfelds, nannte die Aktion auf Anfrage des Spiegel „tiefer, als unser Holocaustmahnmal es ist“. Sie fühle sich „bewegt und angefaßt“.

Proteste jüdischer Organisationen

Erst durch die Intervention jüdischer Organisationen, die von Pietätlosigkeit, Mißbrauch, Störung der Totenruhe und Grabschändung sprachen, setzte eine Kehrtwende ein. Der Musiker Andrej Hermlin, Sohn des 1997 verstorbenen Schriftstellers Stephan Hermlin aus, dessen Gedicht „Die Asche von Birkenau“ das ZPS ungefragt verwendet hatte, schrieb in einem offenen Brief, niemals hätte sein Vater die Einwilligung dazu gegeben. „Sie spielen mit der Asche der Ermordeten, und sie manipulieren ihr Publikum.“ Seine Schlußsätze gemahnen an einen biblischen Fluch: „Mir fehlt die Fantasie mir vorzustellen, was Menschen dazu verleiten könnte, so zu handeln, wie Sie es getan haben. Es soll Schande über Sie kommen.“

Auch die früheren Spektakel des Zentrums waren durchweg selbstherrlich, bösartig, pietätlos, auf die Demütigung und moralische Erpressung Andersdenkender angelegt. Zu den Konstanten gehören auch das holzschnittartige Weltbild und die verzerrte Wahrnehmung. Weder ist die CDU konservativ noch die AfD eine Nachfolgeorganisation der NSDAP. Und was das ZPS über das Bündnis von Konservativen und Nazis verbreitet, entspricht dem Niveau der kommunistischen Faschismus-Definition der dreißiger Jahre. Dieses bis dato akzeptierte und erfolgreiche Verfahren hat sich jetzt gegen seine Urheber gewendet, weil der Protest von jüdischer Seite ihnen den moralischen Überziehungskredit gekündigt hat. 

In der Affäre wird die ganze Geistesverwirrung des Landes anschaulich. Denn das ZPS und sein Chef Philipp Ruch, der sich als idealtypische „Büßer- oder Passionsfigur“ des „bundesdeutschen Schuldkults“ (Martin Lichtmesz) an seiner tiefbraunen Familiengeschichte abarbeitet, haben lediglich Ernst gemacht mit Auschwitz als dem – so der Grünen-Politiker Joschka Fischer – „Gründungsmythos“ der Bundesrepublik. Fischer wiederum stützte sich auf Jürgen Habermas, der im Historikerstreit dekretiert hatte, „erst nach – und durch – Auschwitz“ hätten die Deutschen ein „durch den Filter universalistischer Wertvorstellungen hindurchgetriebenes“ und moralisch legitimes „kollektives Selbstwertgefühl“ erworben. Diese geistig-moralische Zentrierung auf den Massenmord hat im Holocaust-Mahnmal seine faktische und symbolische Betonierung erfahren.

Diese normativ gesetzte, zentrale Idee hat eine stringente Logik freigesetzt, die als „Lehre aus dem dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte“ wirksam wird. Sie konstituiert also eine Ideologie, die durch die Verbindung mit staatlicher Macht zu einer Staatsideologie geworden ist. Ideologien schließen den Anspruch ein, die Wirklichkeit sowohl zu erklären als auch zu formen. Weil sie die Realität jedoch nur aus einem einzigen verengten Blickwinkel erfassen, blenden sie notwendigerweise immer größere Teile davon aus und geraten zunehmend in Konflikt mit ihr. Um sich dennoch zu behaupten, diskreditieren die Ideologen alles, was der von ihnen behaupteten „Lehre aus der Geschichte“ entgegensteht, als unmoralisch und NS-affin. Die Folge ist eine immer stärkere Neurotisierung und Vergiftung des öffentlichen Lebens durch den inflationierten Nazi-Vorwurf.

Das ZPS hatte ihre Aktion mit dem Motto „Gedenken heißt kämpfen“ überschrieben. Kämpfen aber heißt, sich starken, auch unkalkulierbaren Gegenkräften auszusetzen. Die Aktionen des ZPS hingegen schwimmen mit dem Strom. Sie sind Ausdruck und Funktion der Eigendynamik der zentral gesetzen Ideologie. Ihre schöpferische Leistung besteht allein darin, daß sie ihre Totalisierung, ihre Durchdringung sämtlicher Lebensbereiche, antizipieren.

Grabstein Franz von Papens vor CDU-Zentrale abgelegt

Von den Toten, auf die sie sich als Legitimation berufen, haben die Akteure sich längst emanzipiert. Allein ihr propagandistischer Gebrauchswert zählt. Der Historiker Götz Aly unterliegt einem Kurzschluß, wenn er die Aktion lobt, weil sie die Tabuisierung „der Verwertung der Ermordeten“ beende. Das Gegenteil trifft zu. Für Heiner Müller bedeutete Auschwitz den vorläufigen Höhepunkt der „totalen Verwertung“ des Menschen im kapitalistischen Wirtschaftskreislauf. Durch die Zurschaustellung menschlicher Überreste setzt das ZPS die Verwertung auf symbolischer Ebene fort.

Vor allem hat die Aktion einen Riß offengelegt. Die deutschen Neurosen einerseits und die Gefühle und Interessen der Hinterbliebenen und symbolischen Erben der Holocaust-Opfer andererseits sind nicht identisch und können sogar in Gegensatz zueinander geraten. Den schärfsten Konflikt hat der inzwischen verstorbene Modemacher Karl Lagerfeld 2017 mit Blick auf die deutsche „Willkommenskultur“ in den Satz gefaßt: „Selbst wenn Jahrzehnte dazwischenliegen, kann man nicht Millionen Juden töten und später dann Millionen ihrer schlimmsten Feinde holen.“

Parallel zur Errichtung der stählernen „Widerstandssäule“ hat das ZPS den Grabstein Franz von Papens entwendet und vor der CDU-Zentrale abgelegt. Der kurzzeitige Reichskanzler aus der Endzeit der Weimarer Republik ist fraglos eine nichtswürdige Figur. In grenzenloser Dummheit und Verblendung glaubte er, Hitler zwecks Umsetzung einer konservativen Staatsidee „engagieren“ zu können und wurde damit zum Steigbügelhalter eines Verbrechers. Dennoch hat auch er selbstverständlich Anspruch auf Totenruhe. Sie ihm zu verweigern bedeutet, kulturelle Standards nach ideologischen Gesichtspunkten neu zu definieren. Auch das verrät eine totalitäre Gesinnung!

Die allumfassende Fixierung auf das Dritte Reich vermittelt keine brauchbaren Lehren. Sie generiert eine neue „Generation der Unbedingten“ und öffnet Ideologen, Fanatikern und pathologischen Naturen Tür und Tor. Der Wahnsinn, den das Zentrum für Politische Schönheit zelebriert, ist systemisch.