© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 51/19 / 13. Dezember 2019

Im ideologischen Minenfeld
Jubiläum: Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge wird hundert Jahre alt
Paul Meilitz

Volk, Bund, deutsch, Kriegsgrab, Fürsorge. Die längst als unzeitgemäß diskreditierte Wortversammlung löste bereits vor der deutschen Wiedervereinigung im Umfeld „progressiver“ Bedenkenträger Abwehrreflexe aus. Deren Besorgnis erreichte nun auch die Leitungsebene des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. (VDK). Im 100. Gründungsjahr verzichtet der VDK im Briefkopf auf „deutsch“, „Kriegsgrab“ und „Fürsorge“. 

Ein mißratenes Geburtstagsgeschenk, angereichert durch den Redenschreiber des Bundespräsidenten, der Frank-Walter Steinmeier während der vorgezogenen Jubiläumsparty am 23. Juni auf dem Königsplatz in Kassel sagen ließ: „Wenn heute die Repräsentanten unserer Demokratie (...) bedroht und tätlich angegriffen werden, dann ist das ein Alarmzeichen für unsere Demokratie. Eine Gefahr ist nicht nur der rechtsextreme Gewalttäter, der den Finger am Abzug hat.“ Der Schirmherr des VDK nutzte damit einen kriminellen Akt, um den Volksbund auf eine politische Linie zu trimmen. 

Dabei hätte er seine Rede eine dem eigentlichen Anlaß angemessene Gewichtung verleihen können. Kein Wort verlor der höchste Staatsdiener nämlich über Linksextremisten, die sich mit Spraydosen an deutschen Gefallenendenkmälern austoben. Erinnert sei unter vielen Beispielen an die jüngsten Schändungen in Bretzenheim und Eisenach (JF 47/19). Leider fehlte Steinmeier der Mut, dieses Thema zu enttabuisieren. Er füllte seine Redezeit stattdessen mit Sprechblasen und folgte einem Muster, das immer deutlicher Konturen annimmt: Der VDK soll von seinen Kernaufgaben – Arbeit am Kriegsgrab und Angehörigenbetreuung – zunehmend weggeführt und in einem Sammelbecken ideologisch benachbarter Vereine bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt werden. 

Absicht, „Heldenmythos zu dekonstruieren“ 

Dabei war der Volksbund bei seiner Gründung am 16. Dezember 1919 in Berlin überparteilich. Der Verein nahm sich einer Aufgabe an, die der Staat nicht zu leisten in der Lage war: die Versorgung von zwei Millionen deutschen Kriegsgräbern im Ausland. Der Gründungsaufruf aus dem Jahr 1920 mit der Botschaft „Vergeßt die Toten nicht!“ fand ein breites Echo über politische  Trennlinien hinweg. Auch der Schriftsteller Gerhart Hauptmann und der Maler Max Liebermann gehörten zu den Unterzeichnern. Nach 1933 geriet der Volksbund zum ersten Mal in einen politischen Sog, dem er nicht unbeschädigt entrinnen konnte. Im Nationalsozialismus war der Volksbund gleichgeschaltet, blieb aber integer. Die Umwidmung des Volkstrauertages in „Heldengedenktag“ war ein staatlicher Beschluß. 

Nach dem Zweiten Weltkrieg durfte der VDK seine Arbeit in der Bundesrepublik wieder aufnehmen, nicht jedoch in der DDR. Aktuell betreut der Volksbund im Auftrag der Bundesregierung 833 deutsche Kriegsgräberstätten in 46 Staaten mit etwa 2,8 Millionen Kriegstoten. Tausende ehrenamtliche und über 500 hauptamtliche Mitarbeiter erfüllen heute die vielfältigen Aufgaben der Organisation. Von 1992 bis 2018 nahm der Volksbund über 900.000 Umbettungen vor, vorwiegend in Osteuropa. Heute zählt der Verband knapp 100.000 Mitglieder.

Zugegeben: Der Verbandsname wirkt im heutigen Sprachverständnis sperrig. Eine Inventur muß per se nicht schlecht sein, sofern sie nicht durch Hintertüren ins Haus gemogelt wird. Einer Hintertür bedurfte es aber spätestens mit der Übernahme des Präsidentenamtes im Oktober 2013 durch den letzten DDR-Außenminister Markus Meckel nicht. Meckel und die am 1. September 2015 ins Amt gewählte Generalsekretärin Daniela Schily (eine Nichte von Ex-Innenminister Otto Schily) machten sich zunächst einvernehmlich, später wegen persönlicher Animositäten getrennt ans Werk, um den VDK auf neuen Kurs zu bringen. 

Dabei bedienten sich beide ungeniert der jahrzehntelang aufgebauten Netzwerke in den unteren Vereinsebenen, um „Heldenmythos zu dekonstruieren“ und „tradierte Muster zu durchbrechen“. Die vordergründige Begründung, der VDK hätte sich angesichts schwindender Eigeneinnahmen neu zu erfinden, ist entlarvend, da der Bundesregierung nach einer Vereinsauflösung die Versorgung deutscher Kriegsgräberstätten im Ausland automatisch zufiele. 

Schon jetzt deckt das Auswärtige Amt mit fast 14 Millionen Euro über zwei Drittel der VDK-Kosten im Ausland ab. Von einer Unabhängigkeit des Verbandes kann demnach keine Rede mehr sein. Wozu dann noch ein politisch forcierter Transformationsprozeß, der dem Volksbund das Mark ausbläst?  Am Ende aller Überlegungen bleibt, daß der zurechtgestutzte Verein ins System genehmer Nichtregierungsorganisationen (NGO) überführt werden soll. 

Daß Markus Meckel auf dieser Marschroute überzog und knapp vor seiner Abwahl im Herbst 2016 hinschmiß, ist nur ein Scheinerfolg, der die Selbstdemontage des Verbandes nicht wird aufhalten können. Bezeichnend der Tenor der Leitmedien in der Causa Meckel: So fabulierte die Welt von „Intrige und öffentlicher Schlammschlacht“ und stellte sich auf die Seite des zu Fall gebrachten Totalsanierers. Seither hält General a.D. Wolfgang Schneiderhan das Ruder in der Hand. Von ihm wird kein konzeptioneller Kraftakt zu erwarten sein. Seine Generalsekretärin zieht den Volksbund hingegen munter in die Tagespolitik hinein, besitzt keinerlei Hemmungen, um ihrer Abneigung gegen nicht genehme Meinungsbilder Raum zu geben und verletzt damit die im Volksbund-Gründungsakt festgeschriebene Parität. So, wie sich die Führungsspitze des Verbandes mittlerweile entzweit hat, so verläuft der Riß auch durch die Untergliederungen. 

Weniger Gräberpflege, mehr politische Arbeit

Neben einer Handvoll Landesverbände, die sich noch vorrangig den Kernaufgaben widmen, tummeln sich vor allem Berlin, Bremen, Hamburg, Hessen und Niedersachsen schon seit geraumer Zeit unterscheidungslos im großen Sammelbecken linkslastiger Bewegungen. Bevorzugte Spielwiese zur geistig-moralischen Beeinflussung ist die Jugendarbeit, die nach dem Zweiten Weltkrieg entstand, um vor allem bei der Gräberpflege im Ausland zu helfen. Jugendcamps zwischen Frankreich und Rußland gibt es noch immer, nur nimmt deren pädagogische Begleitung teils skurrile Züge an. 

Sein von der Kultusministerkonferenz verliehenes Recht auf Zugang zu Schulen nutzt der Volksbund aktuell mit der Handreichung „Populismus und Schule – Historisch-politisches Urteilsvermögen und Werteorientierung von Schülerinnen und Schülern in einem populistischen Umfeld“, um Heranwachsende unter Konformitätsdruck zu setzen und einseitige Geschichtsbilder zu zementieren. Beispiele für „betreutes Denken“ finden sich gehäuft auch auf der Webseite des Volksbundes. Da ging es schon einmal um „Homosexuelle Soldaten im Ersten Weltkrieg“ oder ein Workcamp mit dem Arbeitsthema „sexuelle Minderheiten“. 

Während sich der Volksbund mit solchen Randthemen dem Zeitgeist andient, verwahrlosen immer mehr deutsche Kriegsgräberstätten im Inland. Der Volksbund ist dafür zwar nicht haftbar zu machen, vermeidet es aber immer häufiger, die zuständigen Behörden an ihre Pflichtaufgaben zu erinnern. An der Spitze der auf diesem Terrain untätigen Landesverbände steht Berlin. Dabei bedürften gerade die als Billig-Variante konzipierten deutschen Kriegsgräber der Hauptstadt neben einer intensiven gärtnerischen Zuwendung den stets erhobenen Zeigefinger des Volksbundes.

Die wohl finale Ära des VDK spiegelt letztendlich nur die Erosion der deutschen Gesellschaft wieder: Abwendung vom Nationalstaat und seinem kulturell-historischen Gefüge, sterbender Gemeinschaftssinn, Abkehr von staatlicher Trauer, die Verächtlichmachung von Traditionen, die Tilgung der Begriffe „Ehre“, „Stolz“ und „Heimat“. 

Immer noch viele Idealisten, darunter auch Angehörige der Bundeswehr, stehen im November mit der Sammelbüchse des Volksbundes in Einkaufsmeilen oder vor Friedhöfen. Leider können die Spender heute nicht genau wissen, ob der in den Schlitz geschobene Euro einem deutschen Soldatengrab zugute kommt oder einem zeitgeistkonformen „Bildungsprojekt“ zur Blüte verhilft.