© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 52/19 / 20. Dezember 2019

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Schatz, wir müssen reden
Paul Rosen

Thomas de Maizière (CDU) ist ein Mann, den so schnell nichts aus der Ruhe bringt. Seit seinem Ausscheiden aus der Bundesregierung sitzt er im Finanzausschuß des Bundestages – an jedem Mittwoch in Sitzungswochen des Bundestages pünktlich ab 9 Uhr im Jakob-Kaiser-Haus, Saal E 400, und lauscht meist unauffällig den Wortmeldungen. Doch vergangene Woche war alles ganz anders. Finanzminister Olaf Scholz (SPD) hatte vorgetragen, er wirkte gesundheitlich angeschlagen; seine Stimme versagte mehrmals. Am Wochenende zuvor hatte der Vizekanzler im Wettbewerb um den SPD-Vorsitz den kürzeren gezogen. Seine Autorität hat gelitten. Amerikaner würden ihn eine „lame duck“ (lahme Ente) nennen. Jetzt wollte Scholz auftrumpfen, Handlungsfähigkeit demonstrieren.

Sein derzeitiges Lieblingsprojekt heißt „Finanztransaktionssteuer“, die er nach französischem Vorbild nun auch in Deutschland einführen will. Einige EU-Länder wollen folgen, was Scholz in der Sitzung als „europäischen Geleitzug“ feierte. Vorgesehen ist eine neue Steuer auf Erwerb oder Verkauf von Aktien deutscher Unternehmen mit einem Börsenwert von über einer Milliarde Euro. Der Staat will dann 0,2 Prozent des Kauf- oder Verkaufspreises verlangen, etwa beim Kauf von Siemens-Aktien für 10.000 Euro 20 Euro. Laut Scholz wird kein Börsenplatz in Deutschland dadurch beeinträchtigt. Mangelndes Selbstbewußtsein ist ohnehin kein Problem von Scholz: „Ich glaube, viele finden ganz gut, was ich mache“, sagte er kürzlich der Zeit.

Einer, der das, was Scholz macht, ausdrücklich nicht ganz gut findet, heißt de Maizière. Schon der Name Finanztransaktionssteuer sei unhaltbar, polterte der Minister a. D. im Ausschuß lautstark los. Es sei vielmehr eine Aktionärssteuer. Die private Altersvorsorge mit Aktien müsse davon ausgenommen werden, dröhnte de Maizière und stellte dies als Bedingung: Die Union werde keiner Lösung zustimmen, die die private Vorsorge nicht von der Steuer freistellt. Scholz widersprach, aber entweder lag es an seiner lädierten Stimme oder an der noch in den Knochen sitzenden Wahlniederlage, daß er nicht mehr überzeugend rüberkam.

Es blieb in Sachen Finanztransaktionssteuer nicht bei dieser Episode im Ausschuß. Nach der Sitzung legten die finanzpolitische Sprecherin der Union, Antje Tillmann, sowie de Maizière mit einer scharf formulierten Pressemitteilung nach, in der sie dem Vizekanzler vorwerfen, Kleinanleger und private Vorsorge zu belasten. „Ein für die Union zustimmungsfähiger Entwurf darf private Altersvorsorge nicht zusätzlich belasten“, warnten beide CDU-Politiker, die so eine Attacke nie auf eigenes Risiko gestartet, sondern sich Rückendeckung in der Partei- und Fraktionsführung besorgt haben dürften.

Öffentlich übereinander herzufallen, ist ein neuer Stil in der Koalition. Früher wurden Meinungsverschiedenheiten in bilateralen Gesprächen beigelegt, und es wurde nicht per Pressemitteilung noch Öl ins Feuer gegossen. Was im Finanzausschuß passierte, sind Schlußszenen einer Ehe namens Große Koalition.