© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 52/19 / 20. Dezember 2019

Advent, Advent ein Windrad brennt
JF-Exklusiv: Hersteller nutzen immer häufiger Werkstoffe, die im Brandfall krebsverdächtig sind
Mathias Pellack

Zwei Eurofighter kollidieren über Mecklenburg. Einer der Piloten stirbt. Die teuren mit Karbon verstärkten Kampfflugzeuge sind hinüber. Einsatzkräfte und Bauern verlangen hinterher 400.000 Euro Schadenersatz von der Bundeswehr. Das ist bekannt. Weniger bekannt ist, daß ähnliche Gefahren und Kosten von neuartigen Windkraftanlagen ausgehen.

Die Rückstände verbrannter Karbonfaser-Komponenten (CFK) sind laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) krebsverdächtig. Diese „fiesen Fasern“ wurden beim Absturz nahe Waren (Müritz) mit den Trümmerteilen und dem Rauch über ein großes Gebiet verteilt. Die Bundeswehr hub aus und entsorgte etwa 1.300 Kubikmeter Erdboden. Unbeteiligte wurden glücklicherweise nicht verletzt, denn das Gebiet ist dünn besiedelt. Das Problem ist nun: Zur Fertigung immer größerer Windkraftanlagen greifen die Hersteller seit 2003 auf wachsende Mengen an Karbonfaser zurück.

5,6 Tonnen Karbon sind in einem Windrad verbaut

Wenn diese bersten oder in Brand geraten, gelangen die krebsverdächtigen Bruchstücke in die Luft und setzen sich an Oberflächen ab. Hautreizungen sind dann das geringste Übel. Während der Verband der Technischen Überwachungsvereine (VdTÜV) von jährlich 50 gravierenden Unfällen in Deutschlands 29.213 Onshore-Windenergieanlagen spricht, bestätigt der Bundesverband Windenergie (BWE) der JUNGEN FREIHEIT „etwa fünf Brände jährlich“.

Die Bedrohung wird derweil sehr unterschiedlich bewertet. Das Umweltbundesamt (UBA) schätzt die Gefahr für Kontaminationen als eher gering ein. Es sei zwar richtig, daß bestimmte Windenergieanlagen Karbonfasern enthielten, schreibt es auf Anfrage. Bei den betroffenen Anlagen seien aber lediglich Bestandteile der Rotorblätter mit Karbonfaser-Werkstoffen verstärkt. Somit seien „die bei einer eventuellen Havarie mit einem Brand freigesetzten Mengen an CFK gering“.

Merkwürdig wirkt diese Aussage, betrachtet man moderne mittelgroße Anlagen von Deutschlands zweitgrößtem Hersteller, der Rostocker Nordex SE. Dieser verbaut laut eigenen Angaben 5,6 Tonnen Karbon in jeder Anlage des Typs N117. Ein ganzer Eurofighter wiegt nur elf Tonnen. Die Firma konnte durch die Verwendung von karbonfaserverstärkten Kunststoffen im Vergleich zum 17 Meter kleineren Rotor 700 Kilogramm Gewicht einsparen. Bei Windrädern mit größeren als dem 117 Meter messenden Rotor dürfte der Anteil dieses Leichtbaumaterials daher höher sein.

Weiter sei der Verdacht, merkt das UBA an, daß die „fiesen Fasern“ Krebs verursachen, „wissenschaftlich nicht zweifelsfrei bestätigt“. Man könne also mögliche „Gefahren für die Bevölkerung, den Wildtierbestand und die Landwirtschaft nicht bestätigen“. Gleichwohl beschäftige sich das Umweltbundesamt aber „mit den Risiken, welche bei der Verarbeitung kohlenstofffaserverstärkter Kunststoffe oder der Abfallbehandlung größerer Mengen entstehen könnten.“

Ganz andere Informationen scheint dagegen die Bundeswehr zu haben. Bereits 2012 leitete sie eigene Untersuchungen zu Unfällen mit Karbonfaser-Materialien ein, da in modernem Kriegsgerät solche Materialien häufig verbaut sind. „Allein die Tatsache, daß nicht ausgeschlossen werden kann, daß solche Fasern krebserregend sein könnten, ist für die Bundeswehr ausschlaggebend, alle zur Verfügung stehenden Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen, um jegliches Risiko für die Bevölkerung und für das an der Unfallstelle eingesetzte Personal auszuschließen“, sagt ein Sprecher der JF.

Die Streitkräfte kamen schon 2013 nach einer Informationsveranstaltung des Generals Flugsicherheit zu einem eindeutigen Schluß: „Wenn bei einem Unfall ein Brand mit Temperaturen bis zirka 600 Grad Celsius auftritt, sind die Fasern brüchig und können zu Entzündungen führen. Zusätzlich verliert das Material seine Formfestigkeit. Am gefährlichsten sind Unfälle mit Temperaturen über 650 Grad Celsius, da sich die einzelnen Fasern so verändern, daß sie lungengängig und somit stark gesundheitsschädigend werden.“ Eine gemeinsame zivil-militärische Zusammenarbeit sei daher „in der Zukunft unbedingt notwendig“.

Feuerwehr sperrt wenigstens Umkreis von 500 Metern ab

In der Folge probte sie wiederholt solche Szenarien – zuletzt am 13. April 2019 im fränkischen Faulbach. Dementsprechend reibungslos verlief der Ernstfall für die Hilfskräfte wenig später nahe der Mecklenburgischen Seenplatte. Vorsorglich wurden ebenso ABC-Schutzmasken wie Ganzkörperanzüge eingesetzt.

Unterdessen hatte auch die Feuerwehr im Jahr 2014 einen Brandversuch durchgeführt. So berichtete die Deutsche Feuerwehr Zeitung BrandSchutz, daß bei einem Karbonfaserbrand Temperaturen um 900 Grad Celsius entstünden und „Fasern mit kritischen Dimensionen im Rauch enthalten“ seien. Mit dem Meßgerät eines nach dem Brand hinzukommenden Unfalluntersuchers wurden 90.000 Fasern pro Kubikmeter ermittelt. Jede dieser Fasern birge das Risiko, eine erste Krebszelle zu erzeugen.

Die Feuerwehr sperrt bei einem normalen Brand einer Windkraftanlagen ein Gebiet von 500 Metern. Bei markantem Wind werden sogar 1.000 Meter abgeriegelt. Dabei gehen die Hilfskräfte allerdings nicht davon aus, daß krebserregende Stoffe mit dem Wind weitergetragen werden können.

Die Windanlagenhersteller schweigen sich zur Problemlage aus. Auf JF-Anfrage haben weder Nordex, Siemens-Gamesa oder Vestas, noch Senvion oder Prokon geantwortet. Deutschlands größter Hersteller Enercon sagte, er bevorzuge glasfaserverstärkten Kunststoff. Ansonsten halte man sich an die Vorgaben des Gesetzgebers. Vorgeschrieben sind aber Brandschutzsysteme nur, wenn Windkraftanlagen im Wald gebaut werden. Auch unterscheiden sich die geforderten Mindestabstände zur nächsten Siedlung erheblich. In Niedersachsen sind 400 Meter nötig. In Bayern wird die zehnfache Höhe (10H) als Abstand gefordert.

Die US-Firma GE Power verwies auf den Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA). Fragen wie: „Sind Brandschutzsysteme in ihren WKAs regelmäßig eingebaut?“ oder „In welchen ihrer Anlagen ist Carbon als Bestandteil des jeweiligen Anlagentyps verbaut und in welchen Mengen?“ waren aus Sicht des Konzerns „doch sehr genereller Natur“. Der VDMA antwortet allgemein: „Der Schutz von Gesundheit und Sicherheit ist eine grundlegende Pflicht.“ Brandschutz sei ein „wesentlicher Faktor bei der Auslegung von Windenergieanlagen“. Konkreter wurde der Bundesverband Windenergie (BWE). Brandschutzsysteme seien nicht regelmäßig verbaut. Und tatsächlich rechtfertigt „das geringe Schadensrisiko die Kosten für unterschiedliche Brandschutzsysteme nicht“.

Der deutschlandweit organisierte windkraftkritische Verein Vernunftkraft warnte wiederholt, so auch gegenüber der JF, vor den Rückständen. Die Nachwirkungen seien „mit denen von Asbeststäuben vergleichbar gefährlich“. Für den Verein ist daher auch die Entfernung von 1.000 Metern ein Minimum. „10H“, wie in Bayern, „wären besser“. Die Absperrvorschriften der Feuerwehr seien allein schon ein guter Grund für den Sicherheitsabstand. Neben dem Leidensdruck durch Infraschall, der Reduktion der Biodiversität kommen nun auch die Gefahren durch verbaute Stoffe, die im Brandfall oder beim Abbau der Anlagen in die Luft gelangen könnten. Die Risiken der Energiewende werden immer deutlicher.