© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 52/19 / 20. Dezember 2019

Berlin – eine Ruinenmetropole zwischen 1943 und 1947
Die gemordete Stadt
(dg)

Im Sommer 1920 erbat die Vossische Zeitung von Karl Scheffler (1869–1951), einem der führenden Kunst- und Architekturkritiker, eine Zukunftsvision: „Wie sieht der Potsdamer Platz in 25 Jahren aus?“ Die Redaktion erhielt drei Antworten in Form eines fiktiven Gesprächs. Danach hätte der zentrale Platz der Reichshauptstadt, 1920 einer der belebtesten Orte der Welt, 1945 entweder wie das multikulturell-schäbige „Zentrum einer Balkanhauptstadt“ oder wie das mit viel Glas und Beton prunkende Mekka der architektonischen Moderne ausgesehen. Schefflers drittes Zukunftsbild zeigte hingegen eine „kaum noch bevölkerte Wüste“, eine Ruinenlandschaft, in der „Gesindel haust“. Das entsprach einer Prophezeiung Oswald Spenglers über den unvermeidlichen „Untergang der Riesenstädte“, die auf die Stufe der Barbarei zurückfallen und in Selbstzerstörung enden würden wie einst Babylon. Tatsächlich, so schreibt der Kulturhistoriker Stefan-Ludwig Hoffmann in einem Essay über „Die zerstörte Metropole Berlin zwischen den Zeiten, 1943–1947“ (Zeitschrift für Ideengeschichte, 3/2019), seien „die Türme des neuen Babylon gefallen“. Aber nicht durch Selbstzerstörung, sondern durch den von Scheffler und Spengler nicht einmal erahnten Zweiten Weltkrieg. Die Verwandlung in eine Trümmerwüste und Todeszone sei jedoch weniger radikal verlaufen, als sich auf den ersten Blick erkennen ließ, weil die unterirdische Infrastruktur fast vollständig intakt blieb. Der eigentliche „Urbizid“ (Karl Schlögel) habe, wie Wolf Jobst Siedler („Die gemordete Stadt“, 1961) früh analysierte, mit dem Wiederaufbau begonnen: „Die Nachkriegsmoderne räumte ab, was vom nie geliebten ‘Moloch Großstadt’ übrig war.“ 


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