© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 52/19 / 20. Dezember 2019

Kinderbasteln im Altarraum
Progressives von der Resterampe: Der Kirchenhistoriker Hubert Wolf über Katholizismus und Aufklärung
Matthias Matussek

Dieser Buchtitel ist durchaus geeignet, Neugier zu wecken, „Verdammtes Licht“, könnten sich Einbrecher in einer dunklen Villa zurufen, was Halblegales ist hier im Gange, und wenn das Cover dann auch noch die Buntglasrosette eines dunklen Kirchenschiffs zeigt, ist klar: hier ist progressiver Wagemut gegen die klerikalen Mächte der Finsternis im Spiel.

Bis man, und es geht schnell, entdeckt, daß hier doch nur wieder einmal die sattsam bekannte Kirchen- und Vatikankritik im Heiner-Geißler- oder Drewermann-Sound aufgetischt wird. Und das auch noch, was den Autor Hubert Wolf angeht, in einer schamlosen Zweitverwertung bereits publizierter Geschichten, die Disparates wie Archiv-Auswertungen zu Matthias Erzberger und Nuntius Eugenio Pacelli, dem späteren Papst Pius XII., bis hin zum Grußwort zum 100. Katholikentag zwischen zwei Buchdeckel stopfen, sowie abschließend eine Attacke auf den antimodernistischen Syllabus von Pius IX., der in diesem empörten und nicht sehr zielsicheren modernistischen Sperrfeuer eine merkwürdige, ja geradezu heroische Strahlkraft gewinnt.

Laut Untertitel soll es um den „Katholizismus und die Aufklärung“ gehen, ein lohnendes Thema, man könnte von den erleuchteten Köpfen des Hochmittelalters erzählen, von Albertus Magnus und Thomas von Aquin, von Gottsuchern und Mystikern wie Meister Eckhart, vom Wissenschaftsbetrieb der Klöster und ihren Funken, die zur Gründung der ersten Universitäten führen. Doch halt, die Aufklärung, um die es hier geht, meint zunächst einmal und primitiverweise das Ereignis Luther.

Es meint das protestantische Auftrumpfen des grimmigen Papstgegners und Berserkers, der – das wird hier unterschlagen – die humanistischen Schriften des Erasmus und die Summa theologica des Thomas auf dem Scheiterhaufen in Wittenberg in Flammen aufgehen ließ.

Aufklärung meint hier zum zweiten das „sapere aude“ Immanuel Kants (der sich doch eine private Frömmigkeit und Psalmentrost erhalten haben soll). Und zum dritten meint Aufklärung das Weltereignis der Französischen Revolution mit ihren Strömen an Blut besonders unter katholischen Priestern.

All diesen Aufklärungen nun ist der Katholizismus gegenübergestellt, oft als Bündnispartner bestehender feudaler Ordnungen und mißtrauisch gegen Veränderungen. 

Gleich zu Beginn entdeckt Kirchenhistoriker Hubert Wolf in diesem Starrsinn des Glaubens eine fundamentale Wahrheit, die er allerdings nicht als katholisches Monopol gelten lassen möchte: „Dabei ist Religion allgemein und das Christentum im besonderen selbst die vielleicht wichtigste Form kritischen Bewußtseins. Denn hier geht es um das Göttliche als Ganzes und Heiles, das in kritischer Distanz zu den Erscheinungen der Welt steht.“

Wie ein Findling steht diese Widerstands-Erkenntnis hier vorne im Buch herum, denn sie gilt offenbar ausgerechnet nicht für die katholische Kirche, zumindest nicht diejenige, die nicht bereit ist, sich zu protestantisieren und dem Papismus und der Innerkirchlichen Monarchie abzuschwören und zum Prinzip der protestantischen Kollegialität überzugehen.

Vielleicht aber haben diese Selbstwidersprüche auch mit der Schwierigkeit zu tun, eine heterogene Aufsatzsammlung unter die Generalaussage eines Buches zu zwingen.

Katholizismus schwenkte ins modische Rebellentum ein

Absurderweise beginnt für Hubert Wolf die katholische Aufklärung erst mit den Verheerungen des Zweiten Vatikanischen Konzils, das von einer Pluralität religiöser Wahrheiten sprach, das die Riten und hergebrachten Liturgien der Una Sancta zertrümmerte und stolz darauf war, auf der Höhe des Zeitgeistes, dem selbstberauschten Triumphalismus der Achtundsechziger, zu operieren. Also mit einem Katholizismus, der ins modische Rebellentum einschwenkte und gerade nicht kritische Distanz zum Zeitgeist wahrte.

Dieser mittlerweile unendlich verstaubte Widerstandsgeist, der sich, so der sattsam bekannte Sound dieser Haltung,  einen „Schuß Ungehorsam der Hierarchie gegenüber (leistet), wenn diese sich den Zeichen der Zeit gegenüber verschließen sollte“, dürfte mittlerweile durch leergefegte Kirchenbänke widerlegt sein.

Doch nach wie vor zweiteilt dieses „aufmüpfige“ Kirchentagsgewäsch den Katholizismus, besonders den deutschen. In einen überkommenen, der sich tatsächlich im Widerstand gegen den Zeitgeist manifestiert zum Beispiel mit der Rückkehr der ehrwürdigen Alten Lithurgie und der Bewunderung für Johannes Paul II. und seinen Nachfolger Benedikt, und in einen neuen „Reformkatholizismus“, verkörpert durch Papst Franziskus, Kinder-Basteleien im Altarraum, Gitarrenmusik und „Maria 2.0“-Stoßtrupps, Feministinnen also, die die „Männerbastion“ Priestertum erobern wollen, das alles unter gutmütiger Förderung progressiver Ortsbischöfe, die also ihre Todsünden „Neid“,  „Hoffart“, „Prunksucht“, „Gier“ oder „Eitelkeit“ im Altarraum austoben dürfen und das dann Gleichberechtigung nennen.

Obwohl Hubert Wolf mit dergleichen Entgleisungen durchaus sympathisiert – er rühmt zu Recht die starken Äbtissinnen des Mittelalters –, scheut er dann doch zurück vor mokanten Selbstüberhebungen wie denen des Katholikenfressers Friedrich Wilhelm Graf, der schwärmt: „Der protestantische Fromme ist aus der Vormundschaft der kirchlichen Institution entlassen“ – was in der Praxis linksgrünes Engagement und das Idiotentum von Ersatzreligionen wie Klimakatastrophe bedeutet. 

Er ist aber auch eine besondere Nummer, dieser Graf. Laut dem emeritierten Professor für Systematische Theologie und Ethik an der Universität München hat der „Protestantismus einen dezidiert emanzipatorischen Gehalt, auch durch entschieden antikatholische Abgrenzung vom Hierarschieprinzip und Autoritätskult der römisch-Katholischen Kirche“ (…) ein emanzipatorisches Feuer, das bekanntermaßen durch die Loyalität zum obersten Kirchenherren Kaiser Wilhelm II. und später, in Form der „Deutschchristen“, zum Führer selbst dokumentiert wurde. 

Sicher hat unsere evangelische Propaganda-Kanone Graf Recht, wenn er ausführt „Protestanten waren nicht nur die Meisterdenker der deutschen Philosophie“ (wobei die Tübinger Stiftszöglinge Hölderlin, Hegel, Schelling sich mit Grausen des Pfarrer-Berufs erwehrten). „Protestanten prägten entscheidend auch den klassischen nationalen Literaturkanon der Deutschen“, – weshalb es selbst für uns Katholiken um so bitterer ist, zu erleben, wie diese enorme deutsche Dichter- und Denkergröße in den halbdebilen evangelischen Kirchentagen mit ihrer durchgegenderten Anrufung der Allerhöchsten und Vulva-Malereien verendet und verröchelt.

Hubert Wolf hält diesem verzückten (und leicht verrückten) F.W. Graf entgegen: „Der Katholizismus der (auf die Reformation) folgenden Jahrhunderte galt immer mehr als bildungsfeindlich, als reformunfähig und letztlich zum Untergang verdammt. Diesen Mythos, an den auch Katholiken irgendwann selbst zu glauben drohten, gilt es zu entlarven.“

Irrige Sätze, Fake News und falsche Botschaften

Wunderbar! Höchste Zeit! Warum aber diesem antikatholischen Graf ständig recht geben und irgendwelche Sündenregister des Papismus und Ultramontanismus hoch und runter repetieren, ob es sich nun um Matthias Erzberger und die Zentrumspartei handelt, die Gewerkschaften oder die frühreren Affinitäten zu Feudalismus, Ordnung, Ständestaat? Als sei der Protestantismus herrschaftsfeinlich gewesen – muß erinnert werden an die Brutalität, die Luther den Fürsten im Umgang mit aufständischen Bauern empfahl?

Wolfs Aufsatzsammlung berührt bisweilen nur zufällig und peripher die annoncierte Auseinandersetzung mit katholischer Aufklärung. Sie zitiert das Erste Vatikanum (1869) mit der ominösen Unfehlbarkeits-Erklärung als Sündenfall, das die ganze Fachschaft der Kirchenhistoriker ein Jahrhundert lang gelähmt habe, eben bis zum Zweiten Vatikanum (1962–1965).

Diesem damals zementierten monarchischen Herrschaftsanspruch sei im übrigen bereits durch das Konzil von Konstanz 1415 – hier referiert Wolf aus eher uninteressanten Fachschaftsintrigen – widersprochen worden, das vom Konzil als einer „Synode“ sprach, die die Kirche, eben die ecclesiam catholicam militantem repräsentiere. Die auch heute wieder geforderte synodale Entmachtung des Papstes war also schon damals gefordert worden? „Sie hat ihre potestas unmittelbar von Christus.“

Mir erscheint das als kühne Verkürzung, wenn man bedenkt, daß es im spannenden Konzil der drei Päpste von Konstanz darum ging, ein Schisma zu überwinden und wieder einen einzigen Nachfolger Petri zu installieren, also eine monarchistische Führungsfigur zu etablieren! 

Gegen Ende seines Buches nimmt sich Hubert Wolf noch einmal in extenso des berüchtigten „Syllabus errorum“ (1864) durch Papst Pius IX. an. Er listet 80 Sätze und Aussagen auf, durchaus unsystematisch, die nie und nimmer mit dem katholischen Glauben vereinbar sind. Irrige Sätze, Fake News, falsche Botschaften wie: „Menschen können bei Übung jeder Religion des Weg des ewigen Heiles finden und die ewige Seligkeit erlangen.“ Also anything goes, Hauptsache, ihr seid glücklich. 

Interessant die These 78, falsch ist die Aussage: „Es ist daher zu loben, daß in gewissen katholischen Ländern gesetzlich verordnet ist, daß den Einwanderern die öffentliche Ausübung ihre Kultes, welcher er auch sei, gestattet sein solle.“ Das klingt schon sehr nach einem Heribert-Prantl-Kommentar.

Der abschließend als falsch verurteilte Satz lautet: „Der Papst kann und muß sich mit dem Fortschritt, dem Liberalismus und der heutigen Zivilisation versöhnen und vereinigen.“

Man kann ihn sich vorstellen, diesen Papst gegen Ende seiner Tage, nach fast dreißigjähriger Amtszeit, geboren im Jahr 1972 der Pariser Terreur, nun im anbrechenden Lärm der Massenmedien und des Liberalismus, inmitten der individuellen kapitalistischen Glücksritterei, der Schlagzeilen und des von Honoré de Balzac genau beschriebenen und beklagten Untergangs feudaler Manieren, wie er in vergeblichem Heroismus versucht, die Lecks zu stopfen in dieser sinnverwirrten Massengesellschaft, die höhere Ziele nicht kennt.

Von heute betrachtet wäre eine romantische Apologie des Papstes wohl weitaus mutiger als die windschnittige Aburteilung durch einen allwissenden Kirchenhistoriker.

Doch obwohl dieses Buch zum großen Teil Etikettenschwindel betreibt und die katholische Aufklärung unterschlägt beziehungsweise falsch ausschildert – sie empfiehlt die dogmatische Selbstaufgabe des Katholizismus als Mittel seiner Rettung für unsere Moderne – lohnt sich die Lektüre, nicht zuletzt wegen der Archivfunde zu einer geplanten Enzyklika gegen den Rassismus, die noch von Nuntius Eugenio Pacelli unter Papst Pius X. ausgearbeitet wurde, sowie durch die durchaus aufregende Diskussion, was den traditionsgebundenen katholischen Glauben und den Islam verbindet beziehungsweise strukturell unterscheidet.

Doch das wäre ein eigenes Buch, zu dem sich Hubert Wolf vielleicht demnächst an seinen Schreibtisch setzt.

Hubert Wolf: Verdammtes Licht. Der Katholizismus und die Aufklärung. C. H. Beck, München 2019, gebunden,  314 Seiten, 29,95 Euro