© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 52/19 / 20. Dezember 2019

Schlechtes Gewissen unter dem Christbaum
Vorweihnachtliche Gedanken über die fast alternativlose Nordmanntanne / Plantage oder Ökoanbau?
Christoph Keller

Der Christbaum ist kein „Klimasünder“, denn in den Jahren seines Wachstums nimmt er CO2 auf und produziert Sauerstoff – so argumentiert nicht nur der Bundesverband der Weihnachtsbaum- und Schnittgrünerzeuger (BWS). Die Wissenschaftsjournalistin Andrea Mertes sieht hingegen weiteres CO2-Sparpotential in Hülle und Fülle (Natur, 12/19). Vor 20 Jahren waren es nur 24 Millionen, heute sind es schon knapp 30 Millionen Nadelbäume, die das Weihnachtsfest in deutschen Wohnzimmern ergrünen lassen. Um spätestens nach drei Wochen in der Müllverbrennung zu landen, wo sie dann CO2 erzeugen, statt es zu binden.

Nicht zu reden davon, daß nur ein verschwindend geringer Teil des Angebots nicht aus Plantagen stammt. Also von dort, wo die Produzenten mit großzügigem Pestizideinsatz Schädlinge bekämpfen, Baumkrankheiten eindämmen und Unkraut vernichten. Nachhaltig sei das nicht. Daran hätten auch alle Versuche nichts geändert, die trübe Ökobilanz ein wenig aufzuhübschen, etwa mit lebenden Bäumen „zur Miete“ oder „im Topf“. Das sei Augenwischerei, erfuhr Mertes beim BWS. Oft würden die Wurzeln verletzt oder der Baum vertrage den Wechselstreß zwischen drinnen und draußen nicht. Das habe sich wohl herumgesprochen, da halte sich die Nachfrage in engen Grenzen. Stattdessen lasse sich sogar ein gegenteiliger Trend beobachten: der Kauf von Zweitbäumen. Das erste Exemplar werde zur Adventszeit angeschafft. Rechtzeitig vor dem Heiligen Abend folge dann eine frische Tanne, die ihre inzwischen vertrocknete, vor sich hin nadelnde Artgenossin ersetzt.

Diese Entwicklung mache ihr Angst, vertraut eine Fachberaterin für Biochristbäume Andrea Mertes an. Zumal sich die umweltfreundliche Variante des Zweitbaums offenbar auf die Tiroler Waldweihnacht beschränkt. Dabei wandern Familien am Heiligen Abend in den Wald, schmücken einen Baum, singen mit den Kindern ihre Lieder, schmücken den Baum wieder ab, ziehen heimwärts und erfreuen sich an einer bescheidenen Weißtanne aus dem Staatsforst.

Warum sich der Ökoweihnachtsbaum keiner großer Kundengunst erfreut, bleibt in Mertes’ Reportage im dunkeln. Vermutlich ist er zu teuer. Um die Suche nach den „immer noch seltenen“, die Kriterien des ökologischen ausgerichteten Waldbaus erfüllenden Exemplaren zu erleichtern, präsentieren die Umweltschützer von Robin Wood im Internet eine nach Bundesländern sortierte Liste, die derzeit bescheidene 74 Verkaufsstellen aufführt. Da heute nach einer Schätzung des Bund Naturschutz Bayern aber allenfalls fünf Prozent der Weihnachtsbäume direkt aus dem Wald stammen, dürfe man deren Marktanteil durchaus „homöopathisch“ nennen.

Edeltanne, Blaufichte und Douglasie zurückgedrängt

Noch exklusiver mutet das Unternehmen des Vereins Bergwaldprojekt an. Seit 2018 rührt BWP für seine Aktion „Weihnachtsbäume für den Wald“ die Werbetrommel. Wer immer einen konventionellen Baum kauft, kann sein Gewissen mit einer 17-Euro-Spende beruhigen. Für diesen Betrag pflanzt der BWP einen Baum und sorgt „lebenslang“ für dessen Pflege. Als Kompensation kommt allerdings nicht wieder handelsüblicher Ersatz in die Erde. Die Waldschutzorganisation favorisiert lokale Arten wie Rot- und Hainbuchen, Silbertannen und seltenere Laubbäume, die sich wie Walnuß oder Spitzahorn auch für trockene und warme Gebiete eignen. Eine wirkliche Alternative zum Plantagenbaum eröffnet BWP indes nicht.

Nach wie vor scheint daher die Nordmanntanne am häufigsten lauschige Stimmung zum Fest zu verbreiten. Anders als es der verdächtig „rechts“ klingende Name suggeriert, kommen diese Bäume nicht aus der runengräberverzierten Urheimat der Wikinger und Skalden. Ihr wichtigstes Utensil verdankt die deutsche Weihnachtsbaumkultur nämlich dem Untergang des Sowjet-imperiums. Anfang der 1990er Jahre verdrängte die aus Georgien importierte Nordmanntanne als Weihnachtsbaum alle heimischen Arten wie Edeltanne, Blaufichte und Douglasie.

Ihre enorme Beliebtheit erklärt sich paradoxerweise damit, daß sie weihnachtliche Aura eher nicht verströmt. Die Nadeln des Importschlagers aus dem kriegerischen Kaukasus pieksen nicht, die Tanne duftet nicht nach Harz und Wald. „Den Leuten ist das egal“, meint Mertes. Deshalb ignorierten sie auch die bessere Ökobilanz, die sich ergebe, wenn Plantagen mit Fichten oder Kiefern statt mit „Nordmännern“ gepflanzt würden. Wenn schon Plantage, dann wäre Fichte der Nordmanntanne zwar vorzuziehen. „Nur kauft sie leider kaum jemand“, wie Mertes von einer Ökobaum­expertin erfährt.

Auch wer, wie der Christbaumerzeuger Günther Marx im Spessart, mit seinen auf 30 Hektar angepflanzten Nordmanntannen mittlerweile ins Lager des ökologischen Landbaus gewechselt ist, stünde nach Mertes’ Ansicht jetzt vor schweren Zeiten. Von den 20.000 Biochristbäumen, die Marx 2017 gepflanzt hat, ging 2018 ein Drittel ein. Sie fielen dem Hitzesommer zum Opfer. 10.000 weitere Bäumchen, im Herbst 2018 nachgepflanzt, schreibt der seit Jahrzehnten sein Traditionsgeschäft betreibende Franke inzwischen wegen des Dürresommers 2019 als Totalverlust ab.

Womit sich für Mertes der Kreis zwischen Weihnachten und Klimawandel schließt. Schnee ist ohnehin seit Jahrzehnten zu Weihnachten rar, und nun bedrohe Hitze und Trockenheit noch das letzte Symbol christlicher Festkultur. Droht eine radikale Profanisierung des Heiligen Abends wie in der DDR, wo die SED-Führung allerdings erfolglos versuchte, Weihnachten zum baumlosen „Jahresabschlußfest“ umzuwidmen? Unter dem „klimagerecht“ grünen Motto „Heute schon auf morgen verzichten“, ließe sich in Greta- und Klimanotstandszeiten das einstmalige Weihnachtsfest zumindest ökologisch nachhaltig feiern. 

 www.bio-weihnachtsbaum-versand.de

 www.bergwaldprojekt.de

 www.bvwe.de