© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 02/20 / 03. Januar 2020

Sind die Austritte politisch motiviert?
Der Kirche entfremdet
Gernot Facius

Die Kurve weist steil nach unten. 436.078 Menschen haben 2018 – aktuellere Zahlen gibt es nicht – den beiden Großkirchen den Rücken gekehrt; mit den Todesfällen summiert sich der Verlust auf 704.000 Christen in Deutschland. Es sind vor allem jene im Alter von 25 bis 40, die austreten und ihre Kinder nicht taufen lassen. Religionssoziologen konstatieren einen „Generationsabbruch“, der nicht zu stoppen sei. Aber allein mit dem demographischen Faktor, der Kirchensteuer oder den Mißbrauchsfällen zu argumentieren, würde der Lage nicht gerecht.

Jedem Austritt geht eine Geschichte der Entfremdung voraus. Viele Christen ertragen nicht länger politische Predigten, etwa über Klimaschutz und Migration, und die, sagen wir es: Verteufelung bestimmter ausländerkritischen Positioner. Sie verabschieden sich still und leise. 

Das muß keinen Bruch mit dem Christentum bedeuten; die Austrittsbewegung ist eher ein Indiz, daß Bischöfe und Pfarrer es nicht schaffen, den Menschen eine kirchliche Perspektive für den Lebenssinn zu vermitteln. Denn es besteht, ungeachtet aller Zweifel, nachgerade ein Hunger nach einer Heilsbotschaft in einer immer mehr zerklüfteten Welt. Die Kirchen sollten im neuen Jahr um ihre geistliche Erneuerung ringen, bereit zum Gespräch mit allen sein und eine billige Flucht ins Politische, für die vor allem die EKD anfällig ist, vermeiden.