© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 02/20 / 03. Januar 2020

Noch Fragen, Kollegen?
Bundespressekonferenz: Seit 70 Jahren laden Hauptstadtjournalisten Woche für Woche Politiker ein, sich von ihnen befragen zu lassen
Jörg Kürschner

Journalismus kann manchmal peinlich sein. Zum Beispiel am 9. Januar 2001 im Berliner Saal der Bundespressekonferenz (BPK). Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer hatte soeben ihren bevorstehenden Rücktritt wegen der Krise um die Rinderseuche BSE verkündet. Sichtlich aufgelöst, mit den Tränen kämpfend. Die zahlreich anwesenden Journalisten zeigten Verständnis, die Tonalität ihrer Fragen fiel der Situation entsprechend mitfühlend aus. Plötzlich stürmte ein Kollege schnellen Schrittes in den Saal, entschuldigte sich eher flüchtig für seine Verspätung und forderte die entgeisterte Grünen-Politikerin auf, das soeben Gesagte zu wiederholen. Fremdschämen war angesagt.

Journalismus kann manchmal menscheln. Zum Beispiel am 13. November 2007. Bundesarbeitsminister Franz Müntefering begründete vor der BPK seinen Rücktritt als Ressortchef und Vizekanzler. Mit bewegten Worten schilderte der SPD-Politiker den Kampf seiner Ehefrau mit dem Krebs, den diese schon bald verlieren sollte. Fragen waren erlaubt, etwa nach den Reaktionen seiner Frau und der Kanzlerin auf seinen Entschluß. „Meine Frau findet das gut – die Kanzlerin nicht“, antwortete der Parteisoldat in gewohnter Knappheit. Respekt war angesagt.

Journalismus kann manchmal auch verlogen sein. Zum Beispiel am 31. August 2015. Bundeskanzlerin Angela Merkel nahm Stellung zu der Flüchtlingskrise in Europa sowie der Aufnahme von Flüchtlingen in Deutschland. Dabei sprach sie jenen verhängnisvollen Satz, der ihre Willkommenskultur begründen sollte. „Wir schaffen das“. Die Mehrzahl der Journalisten war betäubt und begeistert von Merkels Credo, denn kritische Fragen blieben im vollbesetzten BPK-Saal weitgehend aus. Obwohl es an Warnungen wegen der offenen Grenzen, überlasteten Asylbehörden und terroristischen Gefahren nicht gefehlt hatte und CSU-Chef Horst Seehofer bald von der „Herrschaft des Unrechts“ sprach. Nachdenklichkeit war angesagt. 

Journalismus kann manchmal auch überraschend sein. Zum Beispiel am 25. September 2017, dem Tag nach der Bundestagswahl. Die AfD-Führung sonnte sich noch übermüdet im Wahlsieg, da sorgte Frauke Petry für einen Eklat. Sie habe „nach langer Überlegung“ entschieden, der Fraktion nicht anzugehören, teilte sie den verdutzten Journalisten mit, stand auf, packte ihre Sachen und verschwand. Als erstes fand Petrys Co-Vorsitzender Jörg Meuthen die Fassung wieder, entschuldigte sich bei dem verärgerten Sitzungsleiter Tim Szent-Iványi, der Vorgang sei nicht abgesprochen gewesen. Spekulationen waren angesagt.

Warum kommen Politiker wie Fischer, Müntefering, Merkel, die AfD-Spitze sowie Wissenschaftler und Verbandsvertreter in die BPK, um sich den Fragen der Journalisten zu stellen? Ganz einfach, in der BPK ist die Chance, gehört, gesendet oder beschrieben zu werden, groß. Dafür unterwerfen sich die Gäste sogar vollständig dem Reglement des eingetragenen Vereins, dem etwa 900 Hauptstadtjournalisten als Mitglieder angehören. Sie sind es, die die Themen bestimmen. Niemand sonst. Hier hat das Pressekorps das Sagen. Und auch die Dauer der Veranstaltung und der Aufruf der Fragesteller liegen ganz in der Organisationsgewalt der BPK. Damit wollte sich Edmund Stoiber nicht abfinden, den CDU und CSU 2002 als Kanzlerkandidaten gegen Amtsinhaber Gerhard Schröder (SPD) ins Rennen geschickt hatten. In mehreren Etappen wollte der CSU-Mann der Öffentlichkeit die von ihm ausgewählten Bewerber für die einzelnen Ressorts präsentieren. Im Schnelldurchgang. Doch der Vorstand der BPK machte seinem Wahlkampfteam klar, daß hier eine Pressekonferenz erst mit der letzten Frage beendet sei.

Es gibt eine Ausnahme: die Bundeskanzlerin. Merkel kommt einmal im Jahr, meist Ende Juli vor ihrem Urlaub, und steht gut vorbereitet 90 Minuten Rede und Antwort. Das reicht dann auch. Routiniert freundlich und verbindlich geht die langjährige Regierungschefin mit der Hauptstadtpresse um, anders als ihr Vorvorgänger Helmut Kohl. Ihm merkte man an, wen er von der „Journalje“ nicht mochte. Kollegen des Nachrichtenmagazins Spiegel etwa, auch der Zeit oder der ARD. Geringschätzig verhielt sich mitunter auch dessen Vorgänger Helmut Schmidt. „Wegelagerer“ nannte „Schmidt-Schnauze“ Journalisten mitunter. Später sollte er einmal Mitherausgeber der Zeit werden.

Manche Spitzenpolitiker scheuen den Weg zum Schiffbauerdamm 40, dem Sitz der BPK. Etwa der einstige Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt, der sich lieber als Hausherr in seinem Ministerium verschanzte und bei unbequemen Fragen die Notbremse zog, also unter Hinweis auf Anschlußtermine die Pressekonferenz auf wenige Fragen beschränkte. 

Als erster Gast               kam Konrad Adenauer

Vorbehalte und Distanz gegenüber Journalisten pflegen nahezu alle Politiker, nicht nur der CSU-Mann. Wenn diese aber vor der blau-neutralen Wand sitzen, ist dies kaum spürbar, man ist um ein höfliches Miteinander bemüht. Allenfalls persönliche Eigenarten treten zutage, wenn etwa der „Steinzeitparlamentarier“ Wolfgang Schäuble (CDU), seit 1972 ununterbrochen im Bundestag, in seine Bemerkungen lateinische Zitate mischt, wohl wissend, daß die Hochzeit der humanistischen Bildung lange vorbei ist. Dann ist so mancher von Schäubles Zuhörern mit seinem Latein am Ende, was dieser wiederum mit der herablassenden Feststellung quittiert, er habe nichts anderes erwartet. Die Allzweckwaffe der Union präferiert den Diskurs auf hohem Niveau, Sprechblasen-Facharbeiter verachtet er.

Ausländische Kollegen beneiden die deutschen Hauptstadtjournalisten ob der Autonomie ihrer BPK, die vor 70 Jahren in Bonn aus der Taufe gehoben worden ist. Kein Geringerer als der erste Bundeskanzler der Bundesrepublik, Konrad Adenauer (CDU), machte zusammen mit seinem Wirtschaftsminister und späteren Nachfolger Ludwig Erhard (CDU) der ersten BPK seine Aufwartung. 

Doch die durch wissenschaftliche Untersuchungen belegte Erkenntnis über die politisch korrekte Ausrichtung der Journalisten ist bis heute ein Thema geblieben, zumal in politisch aufgeheizten Zeiten. Was mitunter seltsame Blüten treibt. 2007 wollten einflußreiche Mitglieder die Aufnahme des Innenpolitik-Redakteurs der JUNGEN FREIHEIT in die BPK verhindern, obwohl der alle formalen Kriterien der Satzung wie etwa eine ständige Berichterstattung über die Bundespolitik erfüllte. Vergebens. 

Die JF kann seitdem wie selbstverständlich an allen Veranstaltungen der BPK teilnehmen, auch an der dreimal wöchentlich stattfindenden Pressekonferenz mit Regierungssprecher Steffen Seibert und den Sprechern der Ministerien. Dann geht es um die aktuelle Politik wie derzeit das angespannte Verhältnis zwischen Deutschland und Rußland, den Brexit, den Dauerbrenner Große Koalition oder das Klimapaket. Die Antworten bleiben meist hinter den Erwartungen zurück. 

Apropos Klima. Einmal im Jahr rollt die BPK über 2.000 Gästen den roten Teppich aus. Vorzugsweise im Nobelhotel Adlon am Brandenburger Tor bitten die Hauptstadtjournalisten zum Tanz auf dem Bundespresseball. Auch wenn die Promidichte zuletzt ein wenig nachgelassen hat, der Bundespräsident hält dem Großereignis die Treue. Die Ballnacht zum siebzigsten Bestehen der BPK  war „klimaneutral“, wie der Vorstand stolz kundtat. Ökologische Korrektheit war also garantiert, der Champagner guten Gewissens geschlürft. 





Ein besonderer Verein

Weltweit ist es üblich, daß die Regierung Journalisten einlädt. So können die Politiker entscheiden, wer überhaupt kommen darf und wen man Fragen stellen läßt. Bei der Bundespressekonferenz (BPK) ist das anders. Hier laden die Journalisten die Regierungsvertreter ein, um sie zu befragen. Jedes BPK-Mitglied hat Fragerecht, über die Reihenfolge der Wortmeldungen entscheidet der Sitzungsleiter, nicht der Gast. Bereits am Ende der Kaiserzeit organisierten sich Berliner Korrespondenten nach diesem Prinzip. 1949 nahm man in Bonn diese Tradition wieder auf. Erster Gast war Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) zum Thema Wiederherstellung der deutschen Einheit. Er nutzte dies geschickt, um den mißtrauischen Hohen Kommissaren der Alliierten gegenüber zu betonen, er betreibe keine aktive Pressearbeit, sondern sei von den Journalisten eingeladen worden. Die BPK ist ein eingetragener Verein mit etwa 900 Mitgliedern und einem achtköpfigen Vorstand. Vorsitzender ist Gregor Mayntz (Rheinische Post). Sitz der BPK ist das Pressehaus am Schiffbauerdamm im Berliner Regierungsviertel. (vo)