© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 03/20 / 10. Januar 2020

Geh aus, mein Herz
Transplantationen: Nächste Woche stimmt der Bundestag über den Vorstoß des Gesundheitsminsters ab, Organspenden per Widerspruchslösung zu erleichtern
Jörg Kürschner

In der ersten Sitzungswoche des neuen Jahres haben es die Bundestagsabgeordneten in der Hand, die Debatte über Organspenden zu einer „Sternstunde des Parlaments“ zu machen. Dieser Aphorismus wird gern bemüht, wenn die Fraktionsführungen die Abstimmung freigeben, die Fraktionsdisziplin also aufgehoben wird. Das soll am kommenden Donnerstag der Fall sein. Dann geht es im Plenum um das Persönlichkeitsrecht, wie die Organentnahme bei toten Menschen rechtlich geregelt werden soll. 

Derzeit sind diese nur bei ausdrücklich erklärter Zustimmung erlaubt. Dies will Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) ändern, der zusammen mit dem SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach die doppelte Widerspruchslösung erarbeitet hat. Danach gilt jeder volljährige Mensch automatisch als Organspender, es sei denn er selbst hat seinen Widerspruch in einem bundesweiten Register eintragen lassen oder seine Angehörigen entsprechend informiert. Die beiden Politiker verweisen gemeinsam auf eine in Deutschland vergleichsweise geringe Spendenbereitschaft. 

Höchstpersönliche     Rechtsgüter betroffen

Nur 36 Prozent der Deutschen verfügten über einen Organspendeausweis. Spahns Kritiker, darunter pikanterweise seine Amtsvorgänger Hermann Gröhe (CDU) und Ulla Schmidt (SPD), argumentieren, der Organspende nach dem Tod müsse zu Lebzeiten eine bewußte und freiwillige Entscheidung des Spenders vorausgehen, die nicht durch den Staat erzwungen werden dürfe. Die Widerspruchslösung würde den Charakter der Transplantation ändern und auf eine „Organabgabepflicht“ hinauslaufen, entgegnet Gröhe, der auch Fraktionsbeauftragter für Kirchen und Religionsgemeinschaften ist. „Das einzige Recht, das beschnitten würde, wäre das Recht, sich keine Gedanken zu machen, sich nicht mit dieser für viele Mitmenschen entscheidenden Frage auseinanderzusetzen“, kontert Spahn. Im übrigen sei vorgesehen, die Menschen ab dem 16. Lebensjahr über die Rechtslage zu informieren.

Der Gegenentwurf, die Zustimmungslösung, hält an der Freiwilligkeit der Festlegung des Bürgers fest. Dieser soll aber nach Erreichen des 16. Lebensjahrs regelmäßig an das Thema Organspende erinnert, etwa alle zwei Jahre vom Hausarzt zu einem Eintrag in ein Melderegister ermutigt werden. Auch durch diese Regelung lasse sich die Zahl der Organspenden erhöhen, dabei bleibe das Recht auf Selbstbestimmung gewahrt. Von einem „verfassungsschonenderen Vorschlag“ spricht Grünen-Chefin Annalena Baerbock, die zusammen mit Gröhe und Abgeordneten aus allen Fraktionen außer der AfD den Entwurf erarbeitet hat. In der Gruppe haben sich politisch höchst unterschiedliche Charaktere versammelt, wie zum Beispiel die Parteichefs von FDP und Linken, Christian Lindner und Katja Kipping sowie die Abgeordnete Sylvia Pantel (CDU), Sprecherin des konservativen Berliner Kreises.

Die AfD war wie üblich von den übrigen Fraktionen nicht gefragt worden. Als unverhältnismäßig und verfassungsrechtlich untragbar bezeichnete deren Abgeordneter Jens Maier Spahns Gesetzentwurf in der ersten Lesung im Juni vergangenen Jahres und warb für eine „Vertrauenslösung“. Welche Regelung der Bundestag am Ende verabschieden wird, mag in den Fraktionen derzeit niemand beantworten. Zunächst soll über die Widerspruchslösung abgestimmt werden, die zuletzt von rund 220 der 709 Abgeordneten befürwortet worden war. Für das Gegenmodell waren gut 190 Parlamentarier gezählt worden. Die Mehrheit der 90 AfD-Abgeordneten lehnten Spahns Gesetzentwurf ab. Wenn dieser nicht mehr Ja- als Neinstimmen erhält, wird der Bundestagspräsident die Zustimmungslösung aufrufen. Dann könnten die Unterstützer Spahns umschwenken, um wenigstens eine aus ihrer Sicht allerdings nicht ausreichende Änderung der derzeitigen Rechtslage zu erreichen. 

Inhalt und Stil der auf knapp drei Stunden angesetzten Debatte dürften das Abstimmungsergebnis am Ende beeinflussen. Wenn es um höchst persönliche Rechtsgüter geht, haben Argumente und Gegenargumente die größten Chancen, berichten altgediente Parlamentarier.