© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 03/20 / 10. Januar 2020

Spiel mit dem Feuer
Iranisch-amerikanische Drohkulissen: Revolutionsgarden haben 35 Ziele im Visier, die USA aber 52
Marc Zoellner

Achtzig Millionen US-Dollar Kopfgeld auf die Ermordung des US-Präsidenten Donald J. Trump: Mit dieser Ansage überraschte der Organisator der Trauerfeier für Kasem Soleimani selbst die Demonstranten im nordostiranischen Maschhad, der zweitgrößten Metropole der Islamischen Republik.  Wie in anderen Städten des Landes waren auch hier Zehntausende aufgebrachte Anhänger des Ayatollah-Regimes zusammengeströmt, um dem getöteten Kommandeur der iranischen Kuds-Brigaden zu gedenken und martialisch nach Vergeltungsschlägen auf die Vereinigten Staaten zu verlangen. Wütend skandierten Protestler die althergebrachten Parolen „Amerika ist der Große Satan“ sowie „Tod für Israel“. Mit der Ausrufung eines Kopfgelds war hingegen die nächste Stufe einer Eskalation gezündet, die zu einem Flächenbrand auszuufern droht.

Irakische Sunniten werden unter Druck gesetzt

Mit mindestens zwei Marschflugkörpern einer unbemannten Drohne hatten US-Streitkräfte am 3. Januar auf dem Gelände des Bagdader Flughafens die Fahrzeuge sowohl Soleimanis als auch Jamal al-Ibrahims, des Anführers der paramilitärischen schiitisch-irakischen Volksmobilmachungskräfte (PMF), angegriffen und beide zusammen mit ihren fünf Armeebegleitern getötet.

 Vorausgegangen war der von Trump persönlich angeordneten Liquidierung eine Gewaltspirale, welche die Opfer des Luftangriffs wohl selbst ausgelöst hatten: Bereits am 27. Dezember hatten Anhänger der irakischen Kataib Hisbollah, einer schiitischen, vom Iran finanzierten Miliz, einen US-Truppenstützpunkt im nordirakischen Kirkuk mit Katjuscha-Raketen angegriffen. Mehrfach bereits war es in der Vergangenheit zu Übergriffen der Hisbollah auf US-Einrichtungen im Irak gekommen – diesmal jedoch mit Todesfolgen. Ein amerikanischer Unternehmer wurde getötet, mehrere Soldaten erlitten schwere Verletzungen. Mit Luft-Boden-Raketen bewaffnete Drohnen flogen daraufhin Einsätze gegen Stellungen der Hisbollah und töteten 25 Milizionäre.

Zu Silvester schließlich drangen mehrere tausend Mitglieder der PMF ungehindert von Polizei und Militär in die „Grüne Zone“ Bagdads ein und begannen eine zweitägige Belagerung der dort befindlichen US-Botschaft. Von seinen Sicherheitskräften mußte das Botschaftspersonal notevakuiert werden. Scheiben gingen zu Bruch, Brände wurden gelegt, Parolen nach „Tod den Amerikanern“ an die Wände gesprüht.

Erst mittels des Einsatzes von Gummigeschossen und Tränengas konnten die Angreifer schließlich zurückgedrängt, das Gelände erneut gesichert werden. An der Speerspitze des Mobs prominent in Szene fotografieren ließ sich damals Jamal al-Ibrahim; der internationalen Öffentlichkeit besser bekannt unter seinem Kampfnamen Abu Mahdi al-Muhandis. 

Offiziell bestreitet der Iran seine Verwicklung in die versuchte Erstürmung der Botschaft. Doch die PMF ebenso wie die Kataib Hisbollah gelten besonders sunnitischen Irakern als Trojanisches Pferd aus Teheran. Immer wieder werden die seit Monaten anhaltenden Proteste der sunnitisch-irakischen Jugend gegen die Regierung in Bagdad, welcher massive Korruption sowie Iranhörigkeit unterstellt wird, von beiden Gruppierungen überfallen und aufgelöst. Bei den Zusammenstößen starben allein 2019 weit über fünfhundert Menschen.

Besonders empört zeigte sich die irakische Regierung, für deren Absicherung gegen die sunnitischen Demonstranten die beiden schiitischen Milizen geradezu unabdingbar sind, von daher über die Tötung al-Ibrahims und Suleimanis. Noch am Sonntag forderte das irakische Parlament die US-Regierung auf, ihre Truppen unverzüglich aus dem Zweistromland abzuziehen. Derzeit sind noch gut 5.000 US-Soldaten im Irak stationiert, um die hiesige Armee im Kampf gegen die versprengten Überreste der Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) zu unterstützen.

Moskau warnt vor weiterer Eskalation

Auch für Rußland als engsten Verbündeten des Iran ist die Liquidierung der beiden Top-Kommandeure ein Affront. „Um Angriffe auf ihre Botschaften zu verurteilen, wenden sich Staaten an den UN-Sicherheitsrat“, erklärte Maria Zakharova, die Sprecherin des russischen Außenministeriums, am Wochenende im Interview mit dem staatseigenen Nachrichtensender Rossija 24. „Washington […] hatte daran kein Interesse, sondern einzig in der Verschiebung des Kräfteverhältnisses in der Region. Daraus wird nichts Geringeres als eine Eskalation der Spannungen resultieren, von welcher Millionen von Menschen betroffen sein werden.“ 

„Soleimani hatte unmittelbar bevorstehende Angriffe auf amerikanische Diplomaten und militärisches Personal geplant“, zeigte sich hingegen US-Präsident Trump am Wochenende überzeugt. „Doch wir haben ihn auf frischer Tat ertappt und ausgeschaltet.“ 

Tatsächlich wird Soleimani, der den Kuds-Brigaden seit 1998 vorsteht und 2001 noch als Verbündeter der USA gegen die afghanischen Taliban zu Felde zog, von Washington spätestens seit Beginn des Irakkriegs 2003 die Tötung von Hunderten US-Soldaten und ziviler Angestellter auf irakischem Boden vorgeworfen. 

Doch Soleimanis paramilitärisches Netzwerk reichte als Staat im Staate noch viel weiter über den Iran hinaus: Seit 2015 kämpften bis zu 15.000 seiner irakischen, iranischen sowie afghanischen Schiitenmilizionäre auf seiten des syrischen Machthabers Baschar al-Assad. Im Jemen unterhalten die Kuds-Brigaden enge Kontakte zu den Huthi-Milizen; im Libanon zur radikalislamischen Hisbollah. Neben den PMF mutmaßt der irakische Geheimdienst auch Täter aus dem Umfeld Soleimanis hinter den Raketenangriffen auf die saudi-arabische Ölraffinerie von Abqaiq vom 14. September 2019. „Er war direkt wie indirekt verantwortlich für den Tod von Millionen von Menschen“, twitterte Trump. 

Mit Suleimanis Tod ist das iranische Säbelrasseln nicht verstummt. Flugs drohte Gholamali Abuhamzeh, General der iranischen Revolutionsgarden, nach der gezielten Tötung, seine Truppen hätten „35 US-Ziele in der Region“ für Vergeltungsschläge ausgemacht; einschließlich der US-Kriegsflotte im Persischen Golf und der Straße von Hormus – sowie die israelische Stadt Tel Aviv. 

Einen weiteren Angriff mit Todesfolgen wird Washington allerdings keinesfalls tolerieren: „Sollte der Iran noch einmal irgendeinen Amerikaner oder irgendeine amerikanische Einrichtung angreifen, haben wir bereits 52 iranische Standorte anvisiert, an denen wir sehr rasch und sehr hart zuschlagen werden“, entgegnete Trump der Ankündigung der Revolutionsgarden.