© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 03/20 / 10. Januar 2020

„Mehr Sand ins Getriebe des neoliberalen Projekts“
Haus- und Wohnungsmarkt: Zwei Wissenschaftler veröffentlichen linke Beiträge zur Kritik des Immobiliensektors / Lokale Proteste notwendig und wichtig?
Paul Leonhard

Für das Mietpreisrecht ist ausschließlich der Bund zuständig. Dies geht aus einem Gutachten hervor, daß für den Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW) von Hans-Jürgen Papier verfaßt wurde. Mietstopps in den Ländern seien mit dem Grundgesetz nicht vereinbar, so der Ex-Verfassungsrichter. Dennoch wurde der Berliner „Mietendeckel“, der die Mieten für 1,5 Millionen Wohnungen für fünf Jahre einfrieren soll, vor Weihnachten vom rot-rot-grünen Senat ins Abgeordnetenhaus eingebracht.

Der Zuzug steigt, Immobilienpreise und Wohnkosten in den deutschen Metropolen explodieren. Entwicklungen, die am Potsdamer Institut für Soziale Stadtentwicklung (IFSS) mit Spannung verfolgt werden. IFSS-Leiter Armin Hentschel hat daher zusammen mit dem Sozialwissenschaftler und früheren Abteilungsleiter im Statistischen Landesamt Berlin, Peter Lohauß, einen Sammelband über „Wohnungsmärkte und Wohnungspolitik“ veröffentlicht, der sich teilweise wie eine Handlungsanleitung für erfolgreiche Proteste liest.

Soziale Bewegungen könnten durch den Druck der Straße eine radikale soziale Wohnungspolitik besser unterstützten als Mietervereine, schreibt Hentschel. Legitimität und Legalität würden eng beieinanderliegen, die Durchsetzung von Mieterinteressen sei „oft nur über kleine Gesetzesverstöße“ möglich.

Schuld daran, daß sich die Wohnungspreise und Mieten von der regionalen Einkommensentwicklung abgekoppelt haben, die Schere zwischen Nachfrage und Angebot trotz staatlicher Eingriffe in den Immobilienmarkt immer weiter auseinandergeht und sich in der Folge eine wohnungspolitische Kontroverse in bislang nicht bekannter Schärfe entwickelt hat, ist aus Sicht von Hentschel nicht der aus- und inländische Zuzug, sondern die EU. Vor allem der liberalisierte Kapitalverkehr sei mitverantwortlich für die Versorgungsprobleme mit bezahlbarem Wohnraum. Die in der EU und ihren Institutionen angeblich übermächtigen „führenden deutschen Politiker sorgten erst dafür, daß bestimmte Konzepte und Regulierungen in die Europäischen Richtlinien kommen und verkaufen sie dann in Deutschland als Sachzwänge der Globalisierung“.

Auf lokaler Ebene würden international agierende Konzerne wie Vonovia und Deutsche Wohnen Druck auf die Politik machen. Lokal vorhandene Spielräume der Mieter und ihrer Organisationen seien auf Plebiszite oder die bezirkliche Anwendung von Vorkaufsrechten beschränkt. Überdies sei es das größte Defizit linker Politik, daß Alternativkonzepte fehlen und auch etablierte Mieterorganisationen nicht mit radikalen und praxistauglichen Reformvorschlägen aufwarten, um „der neoliberalen und globalen Politik der Entpolitisierung die Stirn zu bieten, die ihr lokales Handeln als globale ökonomische Sachzwänge präsentiert“. Deswegen, so Hentschel, sei jeder lokale Protest, etwa gegen die Vonovia in Berlin oder gegen die Privatisierung der HML (das französische Gegenstück zum sozialen Wohnungsbau) in Frankreich, „jeder lokale Sand, den man in das Getriebe des internationalen neoliberalen Projekts streut, notwendig und wichtig“.

Nicht nur haben sich die Zuständigkeiten des Mietrechts – bis auf das auch aus Sicht von Hentschel „in der Praxis untaugliche Instrument“ des Mietspiegels – auf Bundesebene verlagert, wie es das Papier-Gutachten bestätigt, auch sind auf Vermieterseite „finanzmarktgetriebene Unternehmen zur Großmacht geworden, deren langer lobbyistischer Arm bis hinein in die Landes- und Bundespolitik reicht“. Abträglich für Mieter sei, daß mit der Umwandlung von Mietwohnungen nun Eigentümergemeinschaften zur zweitstärksten Kraft auf Vermieterseite geworden sind. Diese Eigentümer fühlen sich gegenüber Mietern aber weniger sozial verpflichtet als die früheren Althauseigentümer, konstatiert Hentschel. Fatal wirke sich aus, daß in Deutschland der öffentliche und gemeinnützige Wohnungsbestand fast halbiert wurde, überwiegend zugunsten von Eigentümern mit hohen Renditezielen. Es habe kein Wohnungsneubau stattgefunden, sondern unternehmerisches Ziel ist es allein, den erworbenen Bestand „aggressiv höher zu verwerten“.

Die Autoren zeichnen die Geschichte des sozialen Wohnungsbaus nach, beschäftigen sich mit der Besteuerung des Bodens und der sozialen Polarisierung der Wohnungsmärkte und hinterfragen, ob die neoklassische Ökonomie ein geeigneter Orientierungsrahmen für die Wohnungspolitik ist. Staatliche Eingriffe auf dem Wohnungsmarkt beschränken diesen zwar, erreichen die sozialpolitischen Ziele aber nicht, sondern wirkten wie die Mietpreisbremse kontraproduktiv. Es habe zwar Zugeständnisse bei der Regulierung des Wohnungsmarktes gegeben, aber die „marktfundamentale Gegenposition“ habe das „Heft des Handelns“ stets in der Hand behalten.

Armin Hentschel, Peter Lohauß: Wohnungsmärkte und Wohnungpolitik. Metropolis-Verlag, Marburg 2019, broschiert, 342 Seiten, 29,80 Euro

Gutachten „Materielle Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes zur Neuregelung gesetzlicher Vorschriften zur Mietenbegrenzung“:

 web.gdw.de/

 www.ifss-potsdam.de/