© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 03/20 / 10. Januar 2020

CD-Kritik: Antonio Vivaldi, Luka Šulic
Cello ohne Stachel
Jens Knorr

Sie sind nicht totzukriegen, die ersten vier der 12 Concerti Op. 8 von Vivaldi, und das heißt in diesem Falle: nicht totzuspielen. Luka Šulic, bekannt als die eine Hälfte des kroatischen Cross-over-Instrumentalduos 2Cellos, hat sich „Le quattro stagioni“ für Violoncello und Barockensemble arrangiert und mit dem Orchestra Archi dell’Accademia di Santa Cecilia unter dem Dirigenten Luigi Piovano eingespielt.

Adaptionen sind alle legitim, aber nicht alle gut. Diese ersetzt die außermusikalische Programmatik der den Konzerten beigeordneten Sonette durch Szenen aus dem Privatleben, Empfindlichkeit durch Befindlichkeiten. Das Orchester barockisiert, der Cellist romantisiert, und beide kommen in historisch informierter Authentizitätspose überein.

Der 32jährige Šulic offeriert narkotisierendes Legato, trunkenes Vibrato, fitte Läufe, fetten Hall, alles in allem hochpreisige Konsumware. Sie frappiert bei erstem und langweilt bei wiederholtem Hören. Indem der Spieler sich das Komponierte restlos aneignet – erwirbt, um es zu besitzen – enteignet er seine Hörer. Indem er Vivaldi musikalisch nicht weiterdenkt, denkt er nicht einmal bis zu ihm hin.

Dieser glattgestrichene Vivaldi stellt eine Scheintür zur „klassischen“ Musik vor. Da hindurch können die Seelen der Toten ins Diesseits gelangen, aber niemals die Lebenden zu den Toten.

Vivaldi The Four Seasons Luka Šulic Sony Classical 2019  www.lukasulic.com; sonymusicmasterworks.com