© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 03/20 / 10. Januar 2020

Dorn im Auge
Christian Dorn

Mit den Clowns kommen noch immer die Tränen. Entsprechend warnt der Tagesspiegel-Beitrag des Autors Torsten Körner vor der „anthropologischen Konstante“ dieser Figur, die gar „nicht lustig“ sei, wie die aktuellen „Killer-Clowns“ Trump, Johnson, Selenskyj oder Bolsonaro demonstrierten. Immerhin hat einer dieser Darsteller gerade den Golden Globe gewonnen. Darauf mache ich mir sogleich den Reim: „Hollywood mischt mit beim Poker / Aus der Asche steigt der Joker.“ 


Ausgerechnet im Café der Sowjetzone, wo tagtäglich so viele Anywheres auf kleinstem Raum versammelt sind wie wohl nirgends sonst auf der Welt, berichtet mir der Kurator von seinem Freund, einem aus Rußland an eine Brennpunktschule in Friedrichshain-Kreuzberg versetzten Lehrer, dem unbemerkt mitten in der Unterrichtsstunde von einem unbekannten Schüler die Jacke gestohlen wurde, samt Schlüssel, Portemonnaie, Ausweis etc. Auf meine Frage, was das denn für Schüler seien, erklärt er verdruckst: „Das sind … so problematische Seelen“, sprich: kriminelle arabische und türkische Jugendliche. Ich schüttle in Gedanken den Kopf – und ein neues Motto aus dem Handgelenk: „Nimm’s nicht so schwer / Denk einfach, wie der Anywhere“. So konterte dieser mit Blick auf den Euro, als ich auf dessen Kritiker (wie etwa die Euro-Kläger) verwies, daß er auch einen „Experten“ kenne, der sage etwas ganz anderes. Auf meine Frage, wer das sei, antwortete er ironiefrei: „Na, mein Bankberater.“ Ähnlich die Reaktion, als ich die günstigen Preise im Speisewagen des tschechischen Euro-City erwähne, um das Euro-Problem zu verdeutlichen. Darauf er kopfschüttelnd, geradezu belehrend: „Nein, das ist nur ein Kollateralschaden.“


Derweil prangt auf dem Tresen eine Postkarte mit dem russischen Motto: „Schietj maximalno intensivno“ (frei übersetzt: Dem Dasein mehr abgewinnen, als es hergibt). Dazu paßt das aktuelle Bild: Die Abiturientin beim Servietten-Falten, einem Stapel roter und – darüber – gelber gefalteter Papierfähnchen, nachdem ich wie immer einen „Americano“ geordert habe, mit der Betonung auf der letzten Silbe, wie im gleichnamigen Hit Holly Johnsons aus dem Jahr 1989. Der US-kritische Künstler am Nachbartisch liest derweil konzentriert in Zbigniew Brzezinskis Titel „Die einzige Weltmacht“, als ich das Falten der gelben Servietten kommentiere: „Faltest du hier den Tribut für die neue Hegemonialmacht China?“ Im selben Augenblick schlage ich den FAZ-Titel auf mit einer Überschrift, als wäre sie bestellt: „Peking droht Wa­shington mit ‘Vergeltung’.“