© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 03/20 / 10. Januar 2020

In einer kalten Winternacht
Kino: „Queen und Slim“ ist ein emotionaler Beitrag zum Streitthema Polizeigewalt gegen schwarze US-Bürger
Dietmar Mehrens

Als Angela ihren Leidensgenossen Ernest während einer kurzen Rast bittet, auf ein Pferd zu steigen, hat sie dafür eine einfache Erklärung: „Nichts jagt einem Weißen mehr Angst ein als ein schwarzer Mann auf einem Pferd. Dann muß er nämlich zu ihm aufblicken.“ Kaum hat sie die Worte gesprochen, da ist auch schon die Stimme eines garstigen weißen Mannes zu hören, der die beiden von seiner Pferdeweide vertreibt.

Im Grunde erzählt diese kleine Szene in der Mitte des Spielfilmdebüts der Musikvideospezialistin Melina Matsoukas bereits die ganze Geschichte: Da sind zwei Afroamerikaner auf der Flucht vor bösen weißen Männern, weil die sie nicht mögen. „Queen und Slim“ ist ein Film über Rassismus und der Film zum Thema Polizeigewalt gegen Schwarze in den USA.

Der Auftakt zu der Hetzjagd, die Ernest („Slim“) und Angela („Queen“) von Ohio bis nach Florida und dort in ein dramatisches Finale führen wird, ist ein furioses Musterbeispiel für filmwirksame Fallhöhe: Eben noch knüpften Ernest und Angela beim romantischen Rendezvous erste zarte Bande, kurz darauf werden sie von einem Polizeibeamten aus offensichtlich rassistischen Motiven schikaniert, weil Ernest nicht vorschriftsmäßig geblinkt hat, und auf einmal eskaliert die Lage. Schüsse fallen. Angela ist verletzt und der Beamte liegt tot im Schnee.

Angela, die als Anwältin arbeitet, ist sofort klar, daß es keinen Sinn hat, die Sache pflichtgemäß zu melden und sich zu stellen. Ein Polizistenmörder habe keine Chance auf eine faire Behandlung. So beginnt eine gemeinsame Flucht quer durch die Vereinigten Staaten. Am Wegesrand treffen Angela und Ernest immer wieder auf Verbündete. Denn die Tat der beiden hat große mediale Aufmerksamkeit erregt und sie zu Symbolfiguren des schwarzen Amerika gemacht. Ernest, den Vorsichtigeren in dem unfreiwillig-kriminellen Duo, plagen jedoch grundsätzliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit ihres Bonnie-und-Clyde-Gebarens: „Was, wenn Gott wollte, daß ich sterbe, und ich jetzt seinen ganzen Plan durcheinanderbringe?“ 

Wenig Wert auf Ausgewogenheit gelegt 

„Queen und Slim“ ist eine stimmungsvoll bebilderte Reise durch das schwarze Amerika. Weiße sind entweder Statisten oder Bösewichte. Es geht aber nicht nur um Rassenhaß. Es geht, da die beiden Hauptfiguren unterwegs viel Zeit zum Reden haben, auch um die ewig kinotaugliche Frage: Was erwarten Männer und Frauen von Beziehungen?

Auffällig sind die Parallelen zu Clint Eastwoods „Perfect World“ (1993) mit Kevin Costner als flüchtigem Kriminellen im Augen-zu-und-durch-Modus. Man darf unterstellen, daß das Autorengespann James Frey/Lena Waithe und Regisseurin Melina Matsoukas mit ihrer Gemeinschaftsproduktion nicht angetreten sind, um ein bestimmtes Filmgenre neu zu erfinden. Und ganz sicher auch nicht, um amerikanische Polizeibeamte für das zeitgenössische amerikanische Kino zu begeistern. Sie legen erkennbar wenig Wert auf Ausgewogenheit und viel auf Emotionalisierung. Daß, als der Film seinem Höhepunkt zustrebt, ein aufgewühlter schwarzer Junge einen schwarzen Polizisten erschießt, macht deutlich, wohin emotionsgeladene Einseitigkeit führen kann.

„Queen und Slim“ trägt viel zur Veranschaulichung des Problems der Polizeigewalt gegen Schwarze und wenig zu dessen Lösung bei. Aber um Probleme zu lösen, werden Filme schließlich auch nicht gemacht.