© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 03/20 / 10. Januar 2020

Vom Spätbarock zur Aufklärung
Den Himmel auf Erden fühlbar machen: Die Staatsgalerie Stuttgart zeigt eine vielgelobte Ausstellung über den Barockkünstler Giovanni Battista Tiepolo
Felix Dirsch

Tiepolo zählt zu den bemerkenswertesten und vielfältigsten Malern des 18. Jahrhunderts. Außerhalb seiner Heimatstadt, in der er 1696 geboren wurde, gründet sein Ruhm vor allem auf den monumentalen Decken- und Wandbildern im Profanraum. Doch Tiepolo hat auch bedeutende religiöse Werke geschaffen, vornehmlich Altarbilder. Daß von diesen Werken lange Zeit auch in der Kunstwissenschaft kaum Notiz genommen wurde, hängt wohl mit ihrer Begrenzung hauptsächlich auf Venedig zusammen.

Tiepolo war noch der alten Ordnung der weltlichen und geistlichen Fürstentümer verpflichtet, aber seine Kunst ging nicht allein in seiner Tätigkeit als Hofmaler auf. Satire und Systemkritik, wie man sie von Goya bis Grosz verfolgen kann, waren ihm in dieser Form allerdings fremd. Erste Hinweise in diese Richtung existieren aber gleichwohl, nicht zuletzt in humorvoll-ironischen Spitzen. Es fällt auf, daß Tiepolo mit Witz und Ironie die meist noch ehrfürchtig thematisierten Mythen behandelte, etwa die des Ovid. 

Angesichts der Bedeutung des venezianischen Künstlers benötigten die Kuratoren der Stuttgarter Staatsgalerie keine Begründung, anläßlich seines 250. Todestages im März dieses Jahres die eigenen Bestände zu durchforsten und so eine Ausstellung mit überraschend wertvollen Stücken zu ermöglichen. 120 Werke sind zu sehen, darunter 25 Gemälde, über 50 Zeichnungen und mehrere Radierungsfolgen. Beleuchtet werden alle Schaffensphasen des „besten Malers Venedigs“, um die Vielfalt seiner Themen, Bildgattungen und Medien zu zeigen.

Ein Schwerpunkt der Schau liegt auf der Relation zwischen den Bildern und dem Akt der Wahrnehmung durch den Betrachter. Dieser erkennt den vom Künstler intendierten Verfremdungseffekt nicht immer auf den ersten Blick: Manche Proportionen, die zu sehen sind, dürfen als verzerrt gelten. Etliche Motive sind versteckt und wollen erst vom Betrachter entdeckt werden, der sie einordnen soll in seine persönliche Lebens- und Alltagswelt.

Die Bilderpracht Tiepolos hat noch jede Generation erfreut. Zu seinen bekannten Gemälden zählt die Interpretation des mythischen Raubs der Europa durch Zeus, der in Gestalt eines Stieres erscheint. Etwas Langweiliges, weil allzu bekannt und immer wieder in Kunst und Literatur neu behandelt? Mitnichten! Der Stier bricht zusammen unter der Last der phönizischen Königstochter, die doch eine härtere Nuß darstellt, als der Räuber wohl vermutet hat.

Das Bild ist vielschichtig, die künstlerische Absicht schwer zu deuten. Tiepolos Darstellung wird der mehrdeutigen Überlieferung dieser Erzählung gerecht. Bis heute ist umstritten, ob es sich bei der Schlüsselszene um eine Liebesgeschichte, eine Entführung oder eine Vergewaltigung handelt.

Weitere berühmte Werke erfreuen den Besucher der Ausstellung. Exemplarisch ist das Gemälde „Ruhe auf der Flucht nach Ägypten“ zu erwähnen, entstanden um 1762/70, also ein Artefakt der späten Jahre. Die Rast der Heiligen Familie wird in eine bizarr anmutende Gebirgslandschaft verlegt, die übergroß präsentiert wird. Ebenso ist der Fluß überdimensioniert. Der Betrachter gewinnt den Eindruck, der Künstler habe eher die Erhabenheit der Landschaft als die Fliehenden darstellen wollen.

Er schuf die Fresken in der Würzburger Residenz  

Ebenfalls zu bewundern ist das um 1750 fertiggestellte Wandgemälde „Das Bankett der Kleopatra“. Die Herrscherin, der zu Ehren das üppige Mahl zubereitet wurde, erweist sich als undankbar, löst sie doch eine Perle aus ihrem Ohrring und taucht ihn in Essig ein. Heitere Farben und prachtvolle Kostüme geben einen Eindruck davon, was neben Tiepolo auch andere italienische Meister in Form von Stuckarbeiten und Freskenmalerei geleistet haben. So ist auf das Gemälde „Apelles malt das Bildnis der Campaspe“ hinzuweisen. Hier zeigt sich, wie sehr Tiepolo die (von vielen als angestammt empfundene) Abhängigkeit des Künstlers von den höfischen Autoritäten kritisch beäugt. Apelles, ein berühmter Maler der antiken Welt, soll die Mätresse Alexanders des Großen porträtieren und verliebt sich bei der Ausführung seines Auftrages in sie. Der Mächtige überläßt ihm, so ist die Geschichte tradiert, letztendlich seine Geliebte. Es ist aber ungewiss, ob man darin eine Wertschätzung Apelles’ erkennen kann. Bereits die Perspektive spricht dagegen: Alexander und Campaspe werden in erhöhter Position dargestellt. Trotz der Geste ist Apelles nur ein kleines Licht.

Als ein Höhepunkt in Tiepolos Schaffen sind die Fresken im Kaisersaal und im Treppenhaus der Würzburger Residenz einzustufen. Besonders beeindruckend ist die von ihm dort verwendete Farbpalette. Das Bildnis „Apollo, der Olymp und die vier Kontinente“ verbindet das Gemalte mit einer illusionistischen Kontinuität, der sich der Besucher nicht entziehen kann. Nirgendwo wird die Technik des Italieners so anschaulich wie an dieser Stelle.

Angesichts der Farbenpracht, die den Betrachter immer wieder in ihren Bann zieht, kann man sich kaum vorstellen, daß auch Tiepolos große Zeit einmal vorbei war. In der Epoche des Klassizismus ersetzte man mancherorts seine Werke durch andere, etwa die von Raphael Mengs. Doch im 20. Jahrhundert feierte der große Sohn der Lagunenstadt wieder stattliche Erfolge und wurde umfangreich rehabilitiert. Einen Niederschlag davon kann man nicht zuletzt in Stuttgart bestaunen.

Die Tiepolo-Ausstellung ist bis zum 2. Februar in der Staatsgalerie Stuttgart, Konrad-Adenauer-Str. 30-32 täglich außer montags von 10 bis 17 Uhr, donnerstags bis 20 Uhr, zu sehen. Der Katalog kostet im Museum 29,90 Euro. Tel.: 0711 / 470 40-0

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