© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 03/20 / 10. Januar 2020

Der Bedrohung durch Eindringlinge wehren
Schlachtenlärm im Wohnzimmer: In der Familie oder mit Freunden am Spieltisch ins Mittelalter abtauchen
Michael K. Hageböck

Die Auseinandersetzung mit der Geschichte stiftet Identität, denn sie erteilt Auskunft, woher wir kommen und wer wir sind. Welche Herausforderungen meisterten unsere Vorfahren, welche Errungenschaften brachten sie hervor, in welchen Gegenden waren sie seßhaft? Welche Bedeutung haben historische Stätten? Was wissen wir über historische Persönlichkeiten? Soll die Begegnung mit dem Gestern keine reine Kopfsache bleiben, muß sie mit dem Herzen verinnerlicht werden. Sich in frühere Zeiten hinein versetzen, sie als Grundstein unserer Kultur erleben, sich mit der Vergangenheit beschäftigen, um sie so zu einem Teil des Vertrauten zu machen – diesen Zugang zur Geschichte können Gesellschaftsspiele schaffen.

Leider gibt es nur wenig Spiele, die sich explizit mit der deutschen Vergangenheit beschäftigen. Dazu zählen etwa „Die Staufer – Im Gefolge von Heinrich VI.“, „Thurn und Taxis“ (beide bei „Hans im Glück“ verlegt) und die sehr empfehlenswerten „Burgen von Burgund“ (Ravensburger). Wenn man allerdings einen Blick auf das Abendland werfen möchte, entdeckt man nicht nur eine Menge Spiele über Griechenland und Rom, sondern auch über nordeuropäische Länder. „Hengist“ (Lookout) etwa handelt von dem ersten angelsächsischen König. Bei „Carcassonne“ (Hans im Glück) baut man die berühmte Festungsanlage in Südfrankreich nach; bei „My Village“ (Pegasus), „Villagers“ (Kosmos) oder „Agricola“ (Lookout) geht es um das Leben in mittelalterlichen Dörfern, bei „Ora et Labora“ (Lookout) oder „Heavens Ale“ (Pegasus) um Klöster. Auch „Keltis“ (Kosmos) verortet sich im abendländischen Kulturkreis.

Alle diese Spiele sind liebevoll gemacht, leben von ausgeklügelten Mechanismen und ihrer anheimelnden Atmosphäre. Ideale Geschenke für die ganze Familie. Wer jedoch die Auseinandersetzung sucht und den Kampf nicht scheut, dem seien drei Spiele aus dem Schwerkraft-Verlag empfohlen. Sie bestechen sowohl durch ihre umfassende Bezugnahme zum historischen Kontext, als auch durch ihr Regelwerk, welches komplexer ist als bei Produkten, die man im Drogeriemarkt „Müller“ erwerben kann. Spiele von „Schwerkraft“ sind für Zocker gemacht.

Karten- und Brettspiele stiften Gemeinschaft

„1066 – Der Kampf um England“ von Tristan Hall hat den Krieg zwischen Normannen und Angelsachsen zum Inhalt. Beide Kontrahenten treten in einen ebenso erbitterten wie spannungsreichen Zweikampf. Kein historisches Spiel verfügt über eine höhere Detailtiefe: Die bedeutsamen Schlachtfelder lernt man ebenso kennen wie die maßgeblichen Persönlichkeiten. Seite an Seite kämpfen Wigot von Wallinford, Waltheof von Huntingdon, Thurkill White von Kingston und Leofwine Godwinson mit ihren Gefährten gegen die Invasoren. Nachdem der Halleysche Komet gesichert wurde, tragen die Normannen das päpstliche Banner in den Streit, während sich die Angelsachsen dem Segen ihrer Bischöfe anvertrauen. Das exzellent gestaltete Material lädt zum Verweilen ein, der rasante Mechanismus fordert wieder und wieder Revanche.

Die „Westfrankenreich“-Serie von Shem Phillips und S.J. Macdonald hat die Ära nach der Teilung des karolingischen Reichs 843 zum Inhalt. Bei den „Architekten des Westfrankenreichs“ gilt es verschiedene Gebäude zu errichten und eine Kathedrale auszubauen, um sich so im Adelsstand zu etablieren. „Die Paladine des Westfrankenreichs“ hingegen müssen sich gegen die Bedrohung durch Moslems, Wikinger sowie Eindringlinge aus dem Osten erwehren.

Dies geschieht nicht nur durch Waffengewalt, sondern auch durch Bekehrung, das Entsenden von Mönchen und durch Glaubenspunkte. Unverkrampft wird das christliche Abendland thematisiert, auf wohltuende Weise das Mittelalter wertgeschätzt. Wer mehr auf Kampf denn auf Kommunikation setzt, für den dürfte die „Westfrankenreich“-Serie ein Geheimtip sein. 

Gesellschaftsspiele können Jugendliche und sogar Erwachsene an einen Tisch bringen. Karten- und Brettspiele schaffen Gemeinschaft für Gruppen verschiedenen Alters und Größe. Bei „Götterdämmerung“ von Hans Joachim Höh (Amigo) geht es um Verrat im germanischen Asgard. Im dem investigativen Spiel schlüpfen sieben bis 15 Spieler in die Rolle von Göttern, müssen sich gegenseitig verdächtigen, Verschwörer verbannen und die alte Ordnung wiederherstellen. Ideal für Jugendgruppen. 

Spiele prägen Kultur und schaffen Identität. Sie ermöglichen einen emotionalen Zugang zur Geschichte. So findet metapolitisch Beheimatung statt und kultureller Raum wird im Wohnzimmer zurückerobert. Wer sich etwas Zeit nimmt, wird im großen Angebot sicher ein passendes Spiel für sich finden.

 https://schwerkraft-verlag.de

 www.amigo-spiele.de

 https://lookout-spiele.de