© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 03/20 / 10. Januar 2020

Höllenspaß auf Youtube
Zeichentrickgenre: Die freie Produktion „Hazbin Hotel“ ist Ansporn für alternative Formate
Tobias Albert

Auch ein Gruß aus der Hölle kann eine belebende Wirkung haben. Tief im Sündenpfuhl des Internets mischen sich Kreativität und Wagnis, um die etablierte Medienlandschaft zu erschüttern – mal wieder. 

Der Zeichentrickfilm hat in Deutschland einen schweren Stand, ist er doch seit Walt Disney als Kinderkram verschrien. Scheinbar denken viele Filmproduzenten, ein ohnehin auf Kinder abzielendes Produkt erfordere weder Mühe noch künstlerischen Anspruch. Waren vor Jahrzehnten noch Serien wie „Heidi“ oder „Biene Maja“ zumindest liebevoll gezeichnet, setzen moderne Serien meist auf eine maximale Reizüberflutung, um dem jungen Zuschauer die Illusion von Unterhaltung vorzutäuschen. Auch Disney als Riese der Animationsstudios produziert seine (Kinder-)Spielfilme inzwischen als günstigere 3D-Computeranimation („Frozen“) oder gleich als Realfilm mit computergenierten Effekten („Die Schöne und das Biest“ 2017, „Der König der Löwen“ 2019).

Über 22 Millionen Aufrufe

Diese Entwicklung verkennt die Nische, die der klassische Zeichentrickfilm in der Medienwelt besitzt: Übermäßige Emotionsausbrüche, groteske Mimik und ein ganzer Farbpalettentausch, um die Atmosphäre einer Szene zu unterstreichen; dazu grenzenlose Möglichkeiten, das Aussehen der Charaktere zu gestalten. All das ist in Realfilmen nur begrenzt möglich und fällt bei 3D-Animationen schnell in die Kategorie „unfreiwillig komisch“. Nur Zeichentrickfilme können diese Gestaltungsmöglichkeiten bis an ihre Grenzen ausreizen. 

Wird allerdings mit diesen Möglichkeiten der Animationsfilm als Genre ernst genommen, kann er den Fängen des Kinderprogramms entkommen. Das beweisen die Anime-Verfilmungen des japanischen Comic-Klassikers „Barfuß durch Hiroshima“ und britische Filme wie „When the Wind Blows“, der ebenfalls die Folgen einer Atombombenexplosion in all ihren Schrecken darstellt, oder „Watership Down“ (Deutscher Titel „Unten am Fluß“), der getragen von Art Garfunkels Lied „Bright Eyes“ die Grausamkeit der Natur angelehnt an klassische Fabeln zeigt. Auch eine Kinderserie muß nicht zwangsläufig frei von Anspruch und Ästhetik sein, wie mehrere amerikanische Produktionen der vergangenen Jahre beweisen. Science-fiction wie „Steven Universe“ und Mystery wie „Gravity Falls“ oder „Over the Garden Wall“ bilden eine moderne Renaissance des Genres und konnten auch eine erwachsene Anhängerschaft für sich gewinnen. Selbiges gilt für die visuellen Meisterwerke des Studio Ghibli, die tief in die japanische Kultur eintauchen. 

Engagierte Liebhaber dieser 2D-Animationen machen sich auch das Internet zunutze. Jüngster Erfolg ist das englischsprachige „Hazbin Hotel“, ein halbstündiger Film, der in nur zwei Monaten bereits über 22 Millionen Aufrufe auf Youtube erzielt hat. Das Hazbin Hotel liegt in den Tiefen der Hölle und soll ein Ort sein, an dem Sünder und Dämonen den Weg der Besserung beschreiten können, um in den Himmel aufzusteigen. So zumindest der Plan von Betreiberin und Tochter des Teufels Charlie, deren Idealismus jedoch schnell mit der Realität kollidiert und von den anderen Höllenbewohnern nur Häme erntet. Einzig der exzentrische Alastor, zu Lebzeiten Radiosprecher in den Goldenen Zwanzigern, bietet seine Hilfe an. Aber nur, um sich in der ersten Reihe über das Scheitern dieses naiven Projekts amüsieren zu können. An Gewaltdarstellungen und Schimpfwörtern wird in der Hölle natürlich nicht gespart, doch das untergräbt weder die feine Animation noch die interessanten Charaktere, die „Hazbin Hotel“ zu einem Erfolg machen. Gerade der „Radiodämon“ Alastor, dessen gefilterte Stimme wie ein verrauschtes Radio klingt, ist ein kleines Gesamtkunstwerk an Wortwahl, Mimik und Synchronisation geworden. 

Bei Herstellung und Vermarktung war kein etabliertes Studio involviert, sondern die US-amerikanische Animatorin Vivienne Medrano finanzierte Produktion, unterstützende Künstler und Synchronsprecher selbst. Als freischaffende Künstlerin in New York konnte sie sich mit ihrem Youtube-Kanal „Vivziepop“ (2,7 Millionen Abonnenten) eine stabile Anhängerschaft auf der Spendenplattform Patreon aufbauen, insbesondere durch ein 50 Millionen Aufrufe zählendes inoffizielles Musikvideo zu Sängerin Keshas „Die Young“ und durch ihren Webcomic „Zoophobia“. Über drei Jahre leidenschaftliche Arbeit an der Pilotfolge des „Hazbin Hotel“ wurden nun vollendet, und Medranos Wunsch, darauf basierend eine Serie zu produzieren, scheint realisierbar. Ob sich dies durch Spenden, Youtube-Werbeeinnahmen und mittlerweile dazugekommene Fanartikel trägt, bleibt abzuwarten. Aber Medrano will daran festhalten, ihrer Kreativität freien Lauf zu lassen, ohne von Produktionsbürokraten gebremst zu werden. Das Internet zeigt erneut, daß individuelle Leidenschaft und Durchsetzungsvermögen belohnt werden. Ein Ansporn sicherlich auch für neuartige freie Formate und Kreative in der deutschen, vom GEZ-Monopol erdrückten Medienlandschaft.