Auf den ersten Blick scheint die Sache klar. Da in der Türkei seit langem drei deutsche Schulen existieren, die Lehranstalt in Istanbul wurde sogar bereits 1868 gegründet, fordert Ankara nun, daß quasi zum Ausgleich in Deutschland drei türkische Schulen gegründet werden. Schaut man allerdings etwas genauer hin, wird schnell deutlich, daß die Forderung einiges an Konfliktpotential birgt.
Derzeit verhandeln deutsche und türkische Behörden über ein Abkommen, das die Gründung der in Berlin, Köln und Frankfurt am Main geplanten Schulen ermöglicht und die rechtlichen Grundlagen regelt. Dabei geht es nicht unbedingt entspannt und harmonisch zu. Denn im Juni 2018 hatte die Türkei aus heiterem Himmel die deutsche Schule in Izmir mit der Begründung schließen lassen, es gebe für die Lehranstalt keine rechtliche Grundlage. Damit standen automatisch auch die anderen deutschen Schulen auf der Kippe – und Ankara hatte sich eine hervorragende Verhandlungsposition verschafft.
Wie die deutschen Auslandsschulen sollen die türkischen Schulen von örtlichen Schulvereinen getragen werden und den Status von Ersatzschulen erhalten. Diese sind als Privatschulen den staatlichen Schulen bei den Abschlüssen und der Erfüllung der Schulpflicht gleichgestellt, unterstehen aber gleichzeitig der Schulaufsicht des jeweiligen Bundeslandes, dessen Lehrpläne zudem für die Schule verbindlich sind. Im Gegenzug können sie ihr Personal selbst auswählen und erhalten einen Großteil der finanziellen Mittel, den eine vergleichbare staatliche Schule erhalten würde.
Noch in der ersten Jahreshälfte könnte das Schulabkommen zwischen der Bundesrepublik und der Türkei unterzeichnet werden. Daß die Verhandlungen alles andere als Routine sind, zeigt sich daran, daß ein erstes Abkommen, das vom Auswärtigen Amt mit der Türkei ausgehandelt worden war, im Dezember am Widerstand der beteiligten Bundesländer gescheitert ist. Die betroffenen Kultusminister hatten bemängelt, daß das jeweilige Schulrecht nicht ausreichend berücksichtigt worden war.
Mittlerweile haben die betroffenen Bundesländer ihre Änderungswünsche vorgelegt. Diese Auseinandersetzung zeigt, wie groß die Vorbehalte gegen türkische Schulen in Deutschland nicht nur in den zuständigen Ministerien sind. Denn allen Beteiligten ist klar: Auch wenn die Schulen formal von privaten Vereinen getragen werden, wird der türkische Staat und damit die islamistische Partei AKP von Präsident Recep Tayyip Erdogan das Sagen haben und die Personalauswahl treffen.
Bildung im Sinne der islamistischen AKP
„Die Länder sind hochgradig sensibilisiert“, machte der Generalsekretär der Kultusministerkonferenz, Udo Michallik, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung deutlich. Die Befürchtung: Die türkischen Schulen in Deutschland könnten zum Einfallstor für die Ideologie von Erdogan werden. Infolgedessen dürfe an diesen Schulen nichts vermittelt werden, was deutschen Interessen und freiheitlichen Werten widerspreche. Bereits jetzt versuchen die Beteiligten auf deutscher Seite, rote Linien zu ziehen: „Als Land geben wir den Rahmen und die Grenzen vor, und unsere Schulaufsichtsbehörden wachen über die Einhaltung aller schulrechtlichen Standards“, verdeutlichte die nordrhein-westfälische Kultusministerin Yvonne Gebauer (FDP). Auch für die Türkei gebe es keinen „diplomatischen Rabatt“.
Doch es gibt ernste Zweifel, ob diese harten Linie im Ernstfall tatsächlich durchgesetzt werden könnte. Der Grünen-Politiker Volker Beck verwies im Deutschlandfunk auf die politischen Schwierigkeiten, eine einmal eröffnete Schule wieder zu schließen. „Natürlich gilt dann die deutsche Schulaufsicht, und letztendlich kann das, wenn es nicht so läuft, wie das eine demokratische Schulpolitik verlangt, auch wieder zu einer Schließung von Schulen führen, aber man weiß genau, solche Konflikte, die muß man erst mal politisch durchstehen. Die haben außenpolitische Implikationen“, sagte der frühere Bundestagsabgeordnete. Er warnte davor, daß künftig „jedes Jahr Hunderte von Schülern ideologisch ausgerichtet aus türkischen Schulen in Deutschland kommen“. Denn hinter den Schulen stehe die türkische Maarif-Stiftung, die weltweit dafür zuständig sei, in der Diaspora die türkische Bildungspolitik im Sinne der AKP auszurichten.
Ähnlich äußerte sich die Vorsitzende der AfD-Fraktion im Bundestag, Alice Weidel: „Der türkische Präsident Erdogan hat wiederholt deutlich gemacht, daß er die in Deutschland lebenden Türken als verlängerten Arm seiner Politik betrachtet.“ Er habe mehrfach erklärt, daß er an einer Integration und Assimilation türkischstämmiger Bürger in Deutschland nicht nur kein Interesse hat, sondern diese sogar ausdrücklich zurückweist. „Vor diesem Hintergrund besteht die reale Gefahr, daß türkische Schulen, die von einem durch den türkischen Staat kontrollierten Verein in Deutschland betrieben werden, zu einem weiteren Brückenkopf der Indoktrination und Machtausweitung im Sinne der türkischen Regierungspolitik werden.“
Angesichts dieser Unwägbarkeiten werden in Berlin die Stimmen lauter, die die Frage stellen, ob es nicht besser wäre, das Abkommen mit der Türkei scheitern zu lassen – auch wenn die Schließung der deutschen Schulen am Bosporus die Folge wäre.