© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 04/20 / 17. Januar 2020

Blackout im Regenbogenland
Südafrika: Stromausfälle gehören seit Jahren zum Alltag / Energieinfrastruktur vor dem Kollaps
Jörg Sobolewski

Karin M. bleibt nur Galgenhumor am Telefon: „Weißt du, was für Südafrikaner das Geräusch des wirtschaftlichen Erfolgs ist? Das Surren eines funktionierenden Generators“. Die drahtige Deutsche Mitte Sechzig ist mit den Unwägbarkeiten ihrer Wahlheimat vertraut, seit Jahrzehnten lebt sie am Kap. Als Niederlassungsleiterin eines deutschen Unterwäscheherstellers kennt sie die spezifischen Fallstricke, die Südafrika seit den ersten allgemeinen Wahlen 1994, nach dem Ende der Apartheid, für seine Wirtschaft bereithält.

„Stromausfälle sind schon seit langem ein Problem, aber so schlimm wie jetzt war es noch nie. Ich kenne Unternehmen, die einen erheblichen Teil ihrer Rücklagen für die eigene Energieerzeugung aufwenden. Man kann sich das gar nicht vorstellen, da haben dann namhafte internationale Player ein paar Generatoren im Fabrikhof. Das ist mittlerweile ein echtes Investitionshemmnis.“

Störungen und Probleme bei den Kohlekraftwerken

Die Südafrikaner kennen das Phänomen: „Load-Shedding“ wird es vom Energieriesen Eskom bezeichnet und meint das Unvermögen, die Menge an Strom zu produzieren, die das schnell wachsende 59-Millionen-Land benötigt. Um einen landesweiten Komplettausfall zu vermeiden, stellt der Konzern in Ballungsräumen den Strom ab. In der aktuellen Phase 5 sind bis einem Drittel der Bevölkerung immer wieder ohne Strom. 5.000 Megawatt (MW) werden so eingespart und das Stromnetz stabilisiert. Das bleibt nicht ohne Folgen. Mobilfunknetze werden instabil, Kliniken reduzieren ihre Versorgung, und der Dieselabsatz boomt. Den schlucken Notstromaggregate, schließlich dauern Stromausfälle bis zu sechs Stunden an – zu lange, besonders für Firmen. Zwei weitere Phasen sind noch denkbar, dann tritt der ungeregelte Stromausfall ein.

Ein GAU für das einst reichste Industrieland Afrikas, das inzwischen mit einem Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf von nur noch 6.100 Dollar hinter den Ölländern Äquatorialguinea und Gabun sowie dem Diamanten-Eldorado Botswana liegt. Fragt man nach den Ursachen, verweist der regierende African National Congress (ANC; Mitglied der Sozialistischen Internationale) auf „Sabotage“ und „feindliche Infiltration“, ohne Namen zu nennen. Die Bevölkerung auf der Straße hingegen winkt ab. „Eskom ist wie alles, was der ANC in die Finger kriegt: völlig korrupt und bis ins Mark verrottet“, sagt Sarel Van Deventer, Lkw-Fahrer aus Brakpan bei Johannesburg.

Der Konzern ist ein Menetekel für vieles, was schiefläuft. Nach dem Ende der Apartheid wurde Eskom im Namen der Apartheidaufarbeitung regelrecht ausgeplündert und personell aufgeblasen. In den Jahren seit 1994 hat der einst gut funktionierende Stromerzeuger noch wirklich jede einzelne Facette des mannigfaltigen afrikanischen Korruptionsspektrums aufgenommen. Von dubiosen chinesischen Entwicklungskrediten (2018) über schwarze Kassen (2017) und einen enormen Anteil unbeschäftigter, aber gut bezahlter Arbeitskräfte.

Bei etwa 30 Prozent der Arbeitnehmer des Strommonopolisten weiß eigentlich keiner so genau, was sie tun. Auf der Gehaltsliste stehen sie aber trotzdem, und dies zu ändern wird dank der mächtigen und gut mit dem linken ANC-Flügel verwobenen Gewerkschaft, schwierig. Außerdem liefert Eskom faktisch kostenlos Strom an Simbabwe. Weder unter Robert Mugabe noch seinem Nachfolger Emmerson Mnangagwa hat das Regime in Harare seine Stromrechnung bezahlt. Dennoch floß jahrelang Energie in das nordöstliche Nachbarland, während Südafrikaner in Pretoria bei Kerzenschein zu Tisch saßen. Einen offiziellen Grund dafür gibt es nicht, Insider vermuten einen alten „Deal unter Freunden“ aus den Tagen des „sozialistischen Befreiungskampfes“.

„Dieses Land stellt sich immer selbst ein Bein“

Auch bei der Auftragskontrolle tritt Haarsträubendes zutage. Sieben Jahre war das Steinkohlekraftwerk in Medupi überfällig, es ist quasi der BER Südafrikas. Der Neubau, der zusammen mit seinem Schwesterkraftwerk Kusile mit je 4.800 MW ein Fünftel der Energieversorgung sichern soll, leidet auch nach seiner Indienststellung 2019 an Störungen. Es fehlt es an überdachten Lagerflächen. Durchnäßte Kohle soll mitverantwortlich für die Stromausfälle sein. 

Dabei war Eskom einst ein echter Leistungsträger auf dem Kontinent. Zwischen 1960 und 1990 erhöhte der Konzern seine Stromerzeugung von 4.000 auf 40.000 MW, binnen weniger Jahre entstanden sechs große Kohle- und zahlreiche Wasserkraftwerke, die seither das Rückgrat der Stromerzeugung bilden. Das AKW Koeberg bei Kapstadt ging 1984 ans Netz. Die 1.800-MW-Anlage mit französischer Druckwasserreaktoren-Technik ist bislang das einzige Kernkraftwerk Afrikas.

Doch nach dem Ende der Apartheid wurde die Wartung fast aller Kraftwerke vernachlässigt. 2006 und 2008 mußte sogar das AKW vorübergehend abgeschaltet werden. Hinzu kam voriges Jahr auch noch eine Dürre, in vielen Landesteilen ist nicht genug Regen gefallen, auch vielen Kraftwerken mangelt es an Wasser. Auch hier war in der Vergangenheit häufig nicht gut genug an Dämmen und Leitungen gewartet worden.

Südafrikas Energieproblem ist hausgemacht. Cyril Ramaphosa, der nach dem notorisch korrupten Jacob Zuma ins Amt gekommene Ministerpräsident, hat angekündigt, den Monopolisten in Zukunft zu zerschlagen. In drei gleich große Teile soll der kranke Riese zerfallen und damit sollen nicht nur frisches Investitionskapital sondern auch junge und unverbrauchte Köpfe angelockt werden. So die fromme Hoffnung. 

Doch das könnte sich als schwierig erweisen. In einem Land, daß 25 Jahre nach dem Ende der Apartheid weit davon entfernt ist, farbenblind zu sein ,stellt jede Personalentscheidung immer auch ein Politikum dar. Die Berufung des bisher untadeligen Andre Marinus De Ruyter als Chef des Stromerzeugers brachte wütende Reaktionen des linken ANC-Flügels und der Linksaußenfraktion EFF im Parlament. Das Vergehen des Fachmannes: Er war einfach zu weiß. 

„Dieses Land stellt sich immer wieder selbst ein Bein“, seufzt Karin. „Wer wird denn hier investieren, wenn man sich nie sicher sein, kann ob eines Tages einfach alles enteignet wird – weil man die falsche Hautfarbe hat?“ Eine Hoffnung bleibt für stromausfallgeplagte Südafrikaner. Wenn die Wirtschaftslage so schlecht bleibt wie bisher, könnte eine Rezession Strombedarf und -erzeugung wieder zum Ausgleich bringen. Anzeichen für einen solchen Wirtschaftseinbruch gibt es viele, nicht zuletzt die desolate Lage des größten Energiekonzerns im südlichen Afrika selber.

Aktuelle Stromsperren im Eskom-Stromnetz: eskom.co.za

Bürgerinitiative gegen AKW  koebergalert.org