© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 04/20 / 17. Januar 2020

Hunderttausend warten im Westbalkan
Bosnien-Herzegowina: Sicherheitsminister Fahrudin Radoncic fordert humanen Umgang mit Migranten – aber keinesfalls zu Lasten der eigenen Bürger
Hans-Jürgen Georgi

Eine neue Strategie in der Flüchtlingsfrage kündigte der neue Sicherheitsminister von Bosnien-Herzegowina (BiH), Fahrudin Radoncic, zu Beginn des neuen Jahres an. Eines der Probleme, das das Land weltweit in die Schlagzeilen gebracht hat, löste noch sein Vorgänger – das Camp in Vucjak (JF 47/19). 

Das Flüchtlingslager mit seinen unwürdigen Lebensbedingungen wurde am 10. Dezember aufgelöst. Es war im sommerlichen Flüchtlingsansturm auf die EU-Grenze im Juni letzten Jahres auf einer ehemaligen Mülldeponie errichtet worden. Der Chef der EU-Delegation für BiH, Lars-Gunnar Wigemark, hatte schon damals die finanzielle Unterstützung der Union dafür abgelehnt. Zum einen würde die „unvollendete biologische Degradation“ der Müllkippe die Gesundheit der dort angesiedelten Flüchtlinge gefährden, zum anderen sei dieser Ort wegen der „Nähe der kroatischen Grenze“ ungeeignet. Gerade das, so vermuteten manche, habe die bosnischen Behörden dazu gebracht, das „Aufnahmezentrum“ hier zu errichten und die Migranten dazu bewogen, hier zu bleiben. Die kroatische Grenze, mithin die Grenze zur EU, lag nur drei, vier Kilometer durch den Wald entfernt.

Als das „Aufnahmezentrum“ im Spätherbst wegen der üblen Zustände aufgelöst werden sollte, fand sich aber niemand in BiH, der ein Migrationszentrum auf seinem Territorium haben wollte. Die Gegend um Bihac und auch weitere Orte in der Föderation BiH waren schon mit Hunderten Migranten überbelegt, und der serbische Vertreter im Präsidium des BiH-Gesamtstaates, Milorad Dodik, hatte schon im Frühjahr 2018 klargestellt, daß auf dem Gebiet seiner Republika Srpska keine Migrationszentren errichtet werden.

Neuerlicher Ansturm  für Frühjahr erwartet

Schließlich wurde in Ušivak, westlich von Sarajevo, ein neues Aufnahmecamp eingerichtet. Hier wurde am 10. Dezember die Hälfte der 750 Migranten aus Vucjak untergebracht. Unmittelbar vor der Umsiedlung erschienen aber noch einmal einhundert Migranten, die zuvor nicht in Vucjak lebten. Sie und die andere Hälfte fanden in einer ehemaligen Kaserne in Blažuj, vor den Toren von Sarajevo, eine Unterkunft.

Mit der Auflösung von Vucjak ist zwar ein sichtbares Problem verschwunden, aber in einem Frontex-Bericht wird darauf aufmerksam gemacht, daß sich auf dem Gebiet des Westbalkans 98.000 Migranten aufhalten. Zudem werden Wanderungsbewegungen zurück nach Serbien festgestellt, weil die Grenzkontrollen in Kroatien verstärkt wurden. So wird der nächste Ansturm für das kommende Frühjahr erwartet.

Um Bosnien und die Herzegowina nicht zum Opfer der Migrationskrise werden zu lassen, will der neue Sicherheitsminister enger mit den Nachbarländern Serbien, Montenegro und Kroatien zusammenarbeiten. Vor allem aber will er sein Land an den Staatsgrenzen verteidigen. Er möchte nicht, betonte er am 4. Januar, daß die Bürger Angst haben müßten, abends auf die Straße zu gehen, weil ihnen etwas passieren könnte. „Wenn andere Länder des Recht haben – und sie haben es gesehen, daß der US-Präsident Trump eine Mauer baut –, dann muß auch Bosnien alles tun, um auf humane Weise die massenhafte Ankunft von Migranten zu verhindern,“ sagte Radoncic. Es müsse zwar ein humanes Verhältnis zu Migranten und Flüchtlingen geben, so der Sicherheitsminister, aber nicht zum Schaden der Bürger des Landes.