© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 04/20 / 17. Januar 2020

Ex-Renault/Nissan-Chef Carlos Ghosn rechnet mit Japanern ab
Geflohen im Koffer
Markus Brandstetter

Amerikaner sagen: „Die Stalltür schließen, nachdem das Pferd davongaloppiert ist“. Damit sind Katastrophen gemeint, die man erst dann verhindern will, wenn sie schon passiert sind. So verhält es sich im Moment mit den Japanern und dem Automanager Carlos Ghosn (JF 49/18). Der ist Ende Dezember in einem Instrumentenkoffer und einem Privatjet von Japan über die Türkei in den Libanon geflohen, womit der 65jährige die japanische Justiz – und die Medien – ganz schön an der Nase herumgeführt hat. Was war der Grund für diesen tollkühnen Streich?

Angefangen hat alles im November 2018 als Ghosn auf dem Tokioter Flughafen festgenommen wurde, weil er Firmengelder von Nissan und Renault veruntreut haben soll. Ghosn war damals Chef der Allianz von Renault-Nissan-Mitsu­bishi, ein Zugtier der globalen Autobranche. Als Sproß einer libanesischen Unternehmerfamilie in Brasilien geboren, französische Eliteunis absolviert, ein angesehener Manager, der 1999 zuvor mit beispielloser Kühnheit Renault und Nissan in eine strategische Partnerschaft geführt und damit beide Unternehmen und Hunderttausende Arbeitsplätze gerettet hatte.

Dieser Carlos Ghosn soll nun, glaubt man japanischen Staatsanwälten, ein Millionenbetrüger sein, der den vom ihm geführten Renault-Nissan-Vorstand anwies, seine privaten Luxus-Appartements in Rio de Janeiro, Beirut, Paris and Amsterdam zu bezahlen. Insgesamt soll Ghosn seine Arbeitgeber um 80 Millionen US-Dollar betrogen haben, was der Automanager, längst selbst Multimillionär, vehement bestreitet.

Die Weltpresse ist den Vorwürfen der japanischen Behörden von Anfang an recht unkritisch gefolgt, dabei hat auch diese Medaille eine Kehrseite: Obwohl Nissan viel größer und profitabler als Renault ist, besitzt Renault über seine Aktienmehrheit an Nissan die effektive Kontrolle über das gesamte französisch-japanische Konglomerat. Die Japaner wollen nun seit Jahren den Einfluß von Renault, dessen Hauptaktionär pikanterweise der französische Staat ist, verringern und selbst die Kontrolle über die Gruppe übernehmen. 

Und genau da paßt es natürlich sehr gut, daß der Hauptvertreter der Franzosen plötzlich ein Schwerkrimineller sein soll, was der japanischen Nissan-Führung die Macht gab, Ghosn Knall auf Fall zu feuern, wodurch die gesamte französisch-japanische Partnerschaft in Frage gestellt wird. Vorige Woche hat Ghosn in einer emotionalen Pressekonferenz die Vorwürfe der japanischen Behörden scharf, aber glaubhaft zurückgewiesen und der japanischen Justiz Vorverurteilung, unmenschliche Haftbedingungen und einen manipulierten Prozeß vorgeworfen. Wenn man jetzt noch weiß, daß Renault-Nissan seit Ghosns Weggang am Tag 60 Millionen Dollar verliert, dann wäre es für die Japaner wohl besser gewesen, sie hätten ihr bestes Pferd im Stall besser behandelt.